Ärzte: Beschneidungsgesetz gescheitert

Berlin · In den Augen von Ärzteverbänden und anderen Organisationen ist das vor Jahresfrist verabschiedete Beschneidungsgesetz gescheitert. Weder gebe es Rechtssicherheit, noch würden Kinder vor Schmerzen ge schützt.

Ein Jahr ist seit der Verabschiedung des Beschneidungsgesetzes vergangen: Ärzteverbände und Betroffenen-Organisationen halten die neue Regelung für gescheitert. Das neue Gesetz schaffe weder Rechtssicherheit noch würden Kinder wirksam vor vermeidbaren Schmerzen geschützt, hieß es. "Per Gesetz werden hier die Rechte der Kinder beschnitten", erklärte Ulrich Fegeler vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte gestern. Die Praxis in Deutschland sei "grausam und ethisch nicht zu vertreten".

Durch das neue Gesetz sind Beschneidungen möglich, auch ohne medizinisch notwendig zu sein. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt darf der Eingriff auch von Nicht-Ärzten durchgeführt werden, wenn er nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Die Ärzteorganisationen kritisieren nun, dass eine angemessene Schmerzvermeidung und Betäubung dennoch nicht stattfinde. Außerdem verzichte das Gesetz auf einen Bezug zu den religiösen Ritualen des Judentums und des Islam. Damit werde die Bescheidung auch möglich aus Gründen der Kultur oder der Mode. Dies müsse verhindert werden.

Ungleichbehandlung

Die Vorsitzende des Vereins "terre des femmes", die Grünen-Politikerin Irmingard Schewe-Gerigk, beklagte die Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen. Wenn die weibliche Genitalverstümmelung ein Straftatbestand sei, könne die Beschneidung von Jungen nicht bedenkenlos legalisiert werden, so die frühere Bundestagsabgeordnete. Sie halte es deswegen für möglich, dass das Gesetz gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Der Betroffenen-Verein "Mogis" warf dem Gesetzgeber vor, die neue Regelung führe zu mehr Unklarheit und mehr Gefährdung der Kinder. "Mogis"-Sprecher Christian Bahls beklagte angesichts eines aktuellen Berliner Falls, dass "in fahrlässiger Weise auch Hinterhofbeschneidungen" erlaubt würden. Bahls hatte die Beschneidung eines Säuglings zur Anzeige gebracht, bei dem in Form eines tradierten Rituals das Blut mit Hilfe des Mundes des Beschneiders abgesaugt worden sei. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat aus Mangel an Beweisen ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingestellt. Aus Sicht von "Mogis" ist Beschneidung ein Akt "sexueller Misshandlung" und daher generell abzulehnen, so Bahls.

Die eng mit dem türkischen Staat verbundene muslimische Dachverband DITIB hingegen kritisierte die Debatte in Medien und Öffentlichkeit. Zwischen der "weiblichen Genitalverstümmelung" und der Beschneidung von Jungen sei hierbei nur selten unterschieden worden. Außerdem sei der angebliche Einsatz für das Kindeswohl häufig instrumentalisiert worden, um Traditionen von Muslimen und Juden als "archaisch, grausam, überholt und irrational" darzustellen und so eine religionsfeindliche und rassistische Stimmung zu schüren. Diese Tarnstrategien, die gerne von Rechtsextremen und -populisten eingesetzt würden, seien eine "ernst zu nehmende Bedrohung unseres gesellschaftlichen Friedens".

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