135 Tage Ohnmacht und Angst

Lüneburg. Monatelang suchen Fahnder auf zwei Kontinenten nach den vier aus Niedersachsen verschleppten Geschwistern. Interpol, Bundeskriminalamt und Auswärtiges Amt sind beteiligt, Internet und Fernsehen werden genutzt. Doch erst nach 135 Tagen werden die vier Kinder am 7. September 2011 in Kairo entdeckt. Ihr eigener Vater hatte die vier bis acht Jahre alten Geschwister dorthin entführt

 Er warf seiner Frau Ehebruch vor, deshalb nahm er ihr die Kinder weg. Foto: Schulze/dpa

Er warf seiner Frau Ehebruch vor, deshalb nahm er ihr die Kinder weg. Foto: Schulze/dpa

Lüneburg. Monatelang suchen Fahnder auf zwei Kontinenten nach den vier aus Niedersachsen verschleppten Geschwistern. Interpol, Bundeskriminalamt und Auswärtiges Amt sind beteiligt, Internet und Fernsehen werden genutzt. Doch erst nach 135 Tagen werden die vier Kinder am 7. September 2011 in Kairo entdeckt. Ihr eigener Vater hatte die vier bis acht Jahre alten Geschwister dorthin entführt.Für die Mutter sind es 135 Tage in Sorge, Ohnmacht und Angst. "Nicht zu wissen, wo sie sind . . ." Ihre Stimme stockt. Die 31-Jährige bricht in Tränen aus, als sie nach dem 25. April 2011 gefragt wird. Es ist Ostermontag - der getrennt lebende Vater holt die Kinder morgens in Hermannsburg bei Celle ab, angeblich zu einem Fahrradausflug. Doch die Mutter wartet vorerst vergeblich auf ihre Rückkehr - um 12.30 Uhr sitzen die Kinder bereits im Flugzeug nach Ägypten. "Sein Handy war aus", sagt die Frau leise. "Vermisstenanzeige" ist noch zu hören, dann weint sie wieder. "Ihr Mann hat uns, was die Anklage betrifft, im Wesentlichen alles gestanden", sagt der Richter.

"Aufgrund meines Glaubens und auch der Gesetze fühle ich mich verpflichtet, die Kinder zu erziehen", meint der christliche Fundamentalist. Seine Stimme ist klar und fest. An diesem nasskalten Wintertag muss der 37 Jahre alte arbeitslose Krankenpfleger sich vor dem Landgericht Lüneburg verantworten. Entziehung Minderjähriger wird ihm vorgeworfen. "Grundsätzlich stehe ich zu dem, was ich gemacht habe", sagt er vor Prozessbeginn den zahlreichen Journalisten.

Die Frau berichtet von endlosem Streit, nachdem der Glaube des Ehemannes die Familie seit 2004 immer mehr zerstört habe. Schließlich wollte der arbeitslose Krankenpfleger Missionar werden. "Da habe ich ihm gesagt, dass ich jetzt so nicht mehr weitermache", sagt sie. Sie reicht die Scheidung ein.

"Ich glaube, dass das, was in der Bibel steht, Gottes Wort ist", erklärt der Angeklagte, als ihn der Richter nach den Motiven seiner Tat befragt. Die Trennung der Frau sei "Ehebruch", das Zusammenleben mit einem neuen Lebensgefährten "Unzucht". Diesen Lebensstil habe er auch im Sinne der Kinder nicht billigen können. Mit dem Ehebruch habe sie das Recht verloren, über die Kinder zu bestimmen.

Viereinhalb Monate lang hat die Mutter nur ein einziges Lebenszeichen ihrer Kinder. Im Juni zeigt sie die "Bild"-Zeitung in einer trostlosen Unterkunft in einem sudanesischen Wüstenort - ein Leser-Reporter hat das Foto gemacht. Da war der Vater mit den Blondschöpfen auf dem Weg ins glühend heiße Khartum.

Doch das wird ihm zu viel, nach wenigen Tagen geht es zurück nach Kairo. Dort will er in einer Bäckerei arbeiten und ein neues Leben beginnen. Als er gefasst wird, hat er noch rund 200 Euro bei sich. Nun droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren.

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