Wofür Britney Spears büßen musste

Im September 2001 machten in New Yorker U-Bahnstationen Plakate auf ein Britney Spears-Konzert aufmerksam. In der Zeit nach den Anschlägen sah man ihr Gesicht auffallend oft verunstaltet; neben Zahnlücken oder Hitlerbärtchen standen Schmähungen wie "Amerikas Hure" oder "Es ist vorbei"

Im September 2001 machten in New Yorker U-Bahnstationen Plakate auf ein Britney Spears-Konzert aufmerksam. In der Zeit nach den Anschlägen sah man ihr Gesicht auffallend oft verunstaltet; neben Zahnlücken oder Hitlerbärtchen standen Schmähungen wie "Amerikas Hure" oder "Es ist vorbei". Für Thomas Macho ist dies ein Beispiel für "Defacing": der symbolischen oder tatsächlichen Zerstörung von Gesichtern als Form der Vorbild-Kritik. Viele sahen in Spears eine Repräsentantin für all das, was falsch war an den USA.Das Defacing zeugt gewissermaßen ex negativo von der Macht von Vorbildern. Diesen ist die im doppelten Wortsinn gewichtige Studie Machos gewidmet. Das deutsche Wort Vorbild zielt dabei gemeinhin auf normative Ideale, die herausragende Persönlichkeiten verkörpern sollen. Seltener begegnet es uns in seiner zweiten Bedeutung als Modell bzw. antizipierender Zukunftsentwurf. Dagegen unterscheidet das Englische zwischen "model" und "example", wie Macho betont.

Der in Berlin lehrende Kulturwissenschaftler beschäftigt sich verstärkt mit der zweiten, zunehmend zurückgedrängten Bedeutung. In 17 materialreichen, reich bebilderten Essays untersucht er das Phänomen des Vor-Bildes - also jenen Bildern, die das "vergegenwärtigen, was noch nicht da ist, als Entwürfe, Prophezeiungen, Befehle" - in Abgrenzung zu dem der Erinnerung dienenden Nach-Bild, also dem Porträt. Bewehrt mit den Einsichten von Bild-Anthropologen wie Hans Belting oder Horst Bredekamp, spannt Macho einen weiten Bogen: von Höhlenmalern, die nur die selten zu sehenden Tiere verewigten, bis zu den Anthropotechniken Peter Sloterdijks, vom antiken Künstler Pygmalion und seiner zum Leben erweckten Elfenbeinstatue Galatea bis zu Claudia Schiffer. Wobei Macho jede sich bietende Gelegenheit zu seitenlangen Exkursen nutzt.

Sein einleitender Befund ist paradox: Einerseits würden (vorbildliche) Formen in der Gegenwart zunehmend bedeutungsloser werden, wie etwa die wachsende Regelunkenntnis in Sachen Orthografie belegt. Ebenso tendiere die Überzeugungskraft von Utopien heute gegen Null. Anderseits lebten wir in einer "vorbild-süchtigen Wirklichkeit", träumen inzwischen auch Männer "in Zentimetern, und bei Bedarf wird verlängert oder vergrößert, was der Norm nicht zu genügen scheint." Doch der Aufstieg von Schönheitsidealen beruht primär auf medialen Effekten, wie Macho schlüssig aufzeigt. Der Weg ins Zeitalter von Brustvergrößerung und Bulimie wäre ohne die Erfindung von Fotografie und Illustrierten undenkbar gewesen.

Was Macho zu gefallenen Politikergrößen zu sagen hat, überzeugt nur teilweise. Werden Politiker bei einem Fehltritt ertappt, würden sie "plötzlich unheimlich fremd". Doch fremd werden einem Politiker dadurch gerade nicht, sondern ganz im Gegenteil menschlicher als Wählern lieb ist - zu menschlich offenbar, um noch als Vorbild zu taugen. pfo

Thomas Macho: Vorbilder. Fink Verlag, 476 S., 39,90 €

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