Warum läuft jemand Amok?

Es ist einer der vielen Filmemacher-Albträume: Die Förderung platzt, die Produzenten suchen das Weite - und das am ersten Drehtag. So geht es dem Filmteam in "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel": Eigentlich wollte es Kleists Novelle als historiensattes Spektakel inszenieren, doch nun fehlen Geld, Bauten, Statisten, Pferde

 Ein Bild aus "Staudamm": Liv Lisa Fries als Laura, die den Amoklauf an ihrer Schule überlebt hat. Foto: MOP

Ein Bild aus "Staudamm": Liv Lisa Fries als Laura, die den Amoklauf an ihrer Schule überlebt hat. Foto: MOP

Es ist einer der vielen Filmemacher-Albträume: Die Förderung platzt, die Produzenten suchen das Weite - und das am ersten Drehtag. So geht es dem Filmteam in "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel": Eigentlich wollte es Kleists Novelle als historiensattes Spektakel inszenieren, doch nun fehlen Geld, Bauten, Statisten, Pferde. Was tun? Der unbeirrbare Regisseur (Robert Gwisdeck, überzeugend sturköpfig) spannt die bayerischen Dörfler am Drehort ein und setzt seinen Star in Ermangelung eines Pferdes auf einen Ochsen. Komödiantisch beginnt dieser Film von Aron Lehmann (Regie und Buch): Er lässt pompöse Künstler-Egos implodieren und jongliert gekonnt mit Klischees von Provinz und Filmer-Gewerbe. Doch dann verlässt er diese Ebene und wird düsterer, der Regisseur im Film kämpft bis zum letzten um seine Vision und reitet schließlich selbst in die große letzte Schlacht - wenn auch ohne Pferd, wie einst "Die Ritter der Kokosnuss" bei Monty Python. Bei "Kohlhaas" aber hat das eine ungeahnte Würde und Überzeugungskraft. Eine gewitzte Verbeugung vor der Macht der Fantasie - und vor künstlerischer Unbeirrbarkeit. tok

Heute, 22 Uhr; Freitag, 17.30 Uhr; Samstag 9.30 Uhr, Sonntag 19.15 Uhr - jeweils im Cineestar.

Sascha (Jasna Fritzi Bauer) hat vor nichts und vor niemandem Angst. Die Hölle, die kennt sie schon. Die junge Frau sah mit an, wie ihr Stiefvater ihre Mutter erschoss. Jetzt lebt der Teenager mit Geschwistern in einer öden Hochhaussiedlung. Sie ist so furchtlos wie schlau und hat noch Träume: "Ich will meinen Stiefvater Vadim töten und ich will ein Buch schreiben über meine Mutter." Bettina Blümner hat mit ihren Dokumentationen "Prinzessinnenbad" und "Naked City" bewiesen, das sie eine gute Beobachterin und talentierte Filmemacherin ist. Nun legt sie mit "Scherbenpark" (Buch: Katharina Kress) ihr Spielfilmdebüt vor, eine berührende Geschichte über eine junge Frau, die lernen muss, mit dem Verlust eines geliebten Menschen fertig zu werden und dabei nicht zu vergessen, ihr eigenes Leben zu leben. Mit Jasna Fritzi Bauer hat sie eine großartige Hauptdarstellerin gefunden, die die unterschiedlichsten Emotionen mit Bravour meistert. tr

Heute 19.30, Fr 22, Sa 10.30, So 13.30 Uhr, jeweils im Cinestar.

Die brisante Frage, wie es dazu kommt, dass ein Schüler Amok läuft, reizte in den vergangenen Jahren nicht wenige Filmemacher. Das Spektrum reichte von Michael Moores Investigativ-Doku "Bowling for Columbine (2002) bis zum Betroffenen-Porträt "Die Lehrerin" von 2011. Thomas Sieben hat einen anderen, subtileren Zugang gewählt: Sein zweiter Spielfilm "Staudamm", stellt den Großstädter Roman (Friedrich Mücke) in den Mittelpunkt, der in einem Nebenjob Gerichtsdokumente einliest und zum Abholen weiterer Akten an den Ort des Geschehens ins Allgäu geschickt wird. Für den jungen Mann eine eher lästige Pflicht. Im Dorf lernt er Laura (Liv Lisa Fries) kennen, die bei der Tat dabei war. Über die Beziehung zu dem Mädchen beginnt Roman nicht nur, sich für das Geschehene zu interessieren. Immer mehr rückt für ihn die Frage nach den Beweggründen des Täters in den Vordergrund. War der tatsächlich einfach nur "krank", wie Roman zu Beginn lapidar urteilt, oder sind dessen in Briefen festgehaltene aufgestaute Gefühle Romans eigenen viel näher als er es je vermutet hätte? Geschickt gelingt es Sieben, den Zuschauer über den Erkenntnis- und Gefühlsprozess eines - von Mücke äußerst glaubwürdig verkörperten - Unbeteiligten, mit eben dieser Frage selbst zu konfrontieren. Ein ruhiger, konzentrierter Film mit eindringlichen düsteren Bildern. Einer der stärksten Wettbewerbsbeiträge. jkl

Heute 20, Freitag 10, Samstag 12, Sonntag 19 Uhr: Cinestar.

Assoziationen zu literarischen Dystopien à la Orwells "Farm der Tiere" weckt der Film "Freiland". Er erzählt satirisch zugespitzt von einer Staatsgründung mitten in Deutschland. Geplant ist ein Gegenentwurf zu der als spätkapitalistisches Auslaufmodell betrachteten Bundesrepublik. Das idealistisch gestartete Projekt scheitert jedoch, weil sich letztlich die autoritären Kräfte durchsetzen, um eine Diktatur zu installieren. Moritz Laube siedelt seine Geschichte in einem alten Schloss irgendwo im brandburgischen Land an, wo eine Gruppe versprengter skurriler Aussteiger um den Ex-Lehrer Niels Deboos (Aljoscha Stadelmann) den Aufbau von "Freiland" vorantreiben. Die Staatsflagge wird gehisst, Verwaltungsaufgaben aufgeteilt. Spritzig und temporeich beginnt der Film und erlahmt dann allzu schnell. Die Ernsthaftigkeit, mit der Freilands Bewohner ihr absurdes Projekt vorantreiben, ist zunächst witzig. Doch was folgt - Ränkekämpfe, bizarre Rituale wie ausgewürfelte "Paarungstage" - ist bei allem Improvisationstalent der Schauspieler eine Spur zu überdreht. Zudem wirkt die Geschichte zunehmend konzeptlos. Spätestens beim Blutbad am Ende fragt man sich, was der Film eigentlich erzählen will.jkl

 Ein Bild aus "Staudamm": Liv Lisa Fries als Laura, die den Amoklauf an ihrer Schule überlebt hat. Foto: MOP

Ein Bild aus "Staudamm": Liv Lisa Fries als Laura, die den Amoklauf an ihrer Schule überlebt hat. Foto: MOP

Heute 22.30, Freitag 19.45, Samstag 10 Uhr Cinestar; Sonntag um 13 Uhr im Filmhaus.

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