Unsentimentaler Blick auf die „Menschen am Rand“

Berlin · Schlicht „Glück“ ist die Geschichte betitelt, die der gebürtige Neunkircher Jens Eisel am Wochenende vor 500 Zuschauern beim Literaturwettbewerb Open Mike in Berlin vortrug. Am Ende verließ er den Saal als Sieger.

"Überwältigt" sei er, sagte der frischgekürte Sieger des Open Mike, Jens Eisel, am Sonntag nach der Siegerehrung in Berlin. Erwartet habe er es nicht, am Ende einen der drei ersten Plätze des renommierten Wettbewerbs junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik zu belegen, gehofft wohl. Mit Recht. Die Autoren-Jury urteilte über den gebürtigen Neunkircher: "Der Autor zeugt von einem profunden Interesse für andere Menschen; Menschen am Rand." Seine Lebenserfahrung befähige ihn, "Probleme und Realitäten ohne Sentimentalität und aufgesetztes Mitleid in eine Narration zu übersetzen, die Protagonisten eine Stimme gibt, die normalerweise keine haben".

Dabei verwies die Jury auf die Biografie des 33-Jährigen, der heute in Leipzig lebt und am dortigen Literaturinstitut studierte: Er absolvierte eine Schlosser-Ausbildung und arbeitete neun Jahre in einer Diakonie auf St. Pauli. Auf den dort gemachten Erfahrungen fußen seine Geschichten - wie auch sein preisgekrönter Text "Glück" über einen unglücklichen Zocker in dem Hafenviertel. Für Eisel hat sich der Open Mike doppelt gelohnt: Seine Erzählungen werden beim Münchner Piper Verlag erscheinen, wie dessen Lektor Thomas Tebbe bekannt gab. Wir dürfen also auf weitere schräge Außenseiter-Figuren Eisels in kurz skizzierten Storys gespannt sein.Ein weiterer würdiger Prosa-Preisträger war am Sonntag Dmitrij Gawrisch, Jahrgang 1982. Sein Text "Schaukelgestühle ganse en bräune" ist ein brillantes Sprachwerk. Der in Kiew geborene, seit dem 12. Lebensjahr in Bern aufgewachsene und nun in Berlin lebende Autor erweist sich als ein filigraner Wortjongleur mit einem herrlich absurden Humor. Gawrischs eigenwillige Geschichte über einen alten Mann, der nackt durch die Welt läuft, zu prämieren, war eine mutige, aber richtige Entscheidung der Juroren Jenny Erpenbeck, Ulrich Peltzer und Raphael Urweider.

Umstritten dagegen ist die Entscheidung für den Lyrikpreis. Er ging an die 29-jährige Maren Kames, die überraschenderweise auch den undotierten "taz"-Publikumspreis erhielt. Wenn jemand aus dem teils erschreckend schwachen Lyrik-Jahrgang herausstach, so war es die Münchnerin Verena Fiebiger. Sie hatte gegenüber Kames die deutlich größere Bandbreite an Sprachbildern und humorvollen Wortspielereien zu bieten.

Insgesamt jedoch war auch der 21. Open Mike ein Ort voller Perlen. Und von den meisten der 15 größtenteils sehr starken Prosa-Finalisten werden wir garantiert noch lesen.

Alle Beiträge des Open Mike erscheinen in einem Band im Allitera Verlag München.

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