Streuselkuchen statt Kulturpolitik?

Stuttgart · Der Südwestrundfunk will das SWR-Sinfonieorchester mit Sitz in Baden-Baden und Freiburg und das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart zusammenlegen. Gegner der Fusion haben 20 000 Unterschriften gesammelt, auch die Politik bezieht nun Stellung.

 Intendant mit Eselsohren: SWR-Chef Peter Boudgoust spricht zu den Fusionsgegnern und muss sich einige Buhrufe gefallen lassen – und dass Kabarettist Matthias Deutschmann ihm Eselsohren wachsen lässt. Foto: Rudiger

Intendant mit Eselsohren: SWR-Chef Peter Boudgoust spricht zu den Fusionsgegnern und muss sich einige Buhrufe gefallen lassen – und dass Kabarettist Matthias Deutschmann ihm Eselsohren wachsen lässt. Foto: Rudiger

Foto: Rudiger

Und sie bewegt sich doch. Lange Zeit hat es so ausgesehen, als hielte sich die Landespolitik ganz aus der Debatte um die vom Südwestrundfunk beschlossene Orchesterfusion heraus - mit der Berufung auf die Unabhängigkeit des Rundfunks. Am vergangenen Donnerstag beschloss der Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst bei seiner Sitzung in Stuttgart einen von der SPD und den Grünen gestellten Antrag, "der Südwestrundfunk soll Modelle prüfen und entwickeln, die alternativ zur geplanten Fusion der beiden Sinfonieorchester des Senders geeignet sind, den Weiterbestand der beiden Klangkörper als eigenständige Einrichtungen zu ermöglichen". Für Gabi Rolland, Freiburger SPD-Landtagsabgeordnete und Ausschussmitglied, ist damit "die Tür der Politik einen Spalt aufgegangen".

SWR-Intendant Peter Boudgoust, der von dem Ausschuss geladen worden war, stellte sich vor der Sitzung den 200 Demonstranten, die gegen die Fusion protestierten und der Ausschussvorsitzenden Helen Heberer 20 000 Unterschriften gegen die Orchesterfusion übergaben. "Fakt ist, dass wir seit sechs Jahren keine Beitragserhöhung mehr bekommen haben. Fakt ist, dass wir in diesem Jahr einen Fehlbetrag von 30 Millionen Euro geplant haben und im letzten Jahr einen Fehlbetrag von 40 Millionen Euro hatten", sagte Boudgoust unter Buhrufen.

Es scheint, der SWR-Intendant hantiert mit diesen Zahlen so, wie es ihm für seine Argumentation gerade nützlich erscheint. Der vom Südwestrundfunk 2009 beschlossene Sparkurs wurde wegen "Prognosen sinkender Beitragseinnahmen, auf die sich der SWR vorausschauend einrichtet" auf den Weg gebracht, wie in einer älteren Sender-Erklärung steht. Nun wird es durch die Umstellung von geräteabhängiger Rundfunkgebühr zum geräteunabhängigen Rundfunkbeitrag in den Jahren 2013 bis 2016 Mehreinnahmen von geschätzen 1,146 Milliarden Euro geben, wie die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) Ende 2013 prognostizierte.

Dass der SWR zurzeit keinen Zugriff auf die Gelder hat, weil sie bei der KEF erst einmal eingefroren sind, betont die SWR-Pressestelle immer wieder. Aber die Einsparungen durch die Orchesterfusion von langfristig 25 Prozent sollen auch erst ab 2016 greifen. Für diesen Zeitraum könnte vom SWR ein neuer, erhöhter Bedarf angemeldet werden.

Es ist noch unklar, wie die Mehreinnahmen verwendet werden. Die geplante Fusion von Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg hat dabei keine Auswirkungen auf die bereits fusionierte Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslauten (DRP), die zu einem Drittel vom Südwestrundfunk finanziert wird. Umgekehrt mag die bereits 2007 erfolgte Fusion senderintern den Fusionsdruck auf die beiden baden-württembergischen Spitzenorchester erhöht haben. Zumindest stimmten die rheinland-pfälzischen Mitglieder des Rundfunkrats (knapp ein Drittel des Gremiums) am 28. September 2012 geschlossen für die von Boudgoust durchgepeitschte Fusion.

Im Gegensatz zu der von Boudgoust beschworenen "Alternativlosigkeit der Fusion" ist also vieles im Fluss und kann gestaltet werden - wenn man es denn möchte. Kabarettist und Fusionsgegner Matthias Deutschmann, der Boudgoust bei der Kundgebung ironischerweise das Megaphon hielt, betonte die Verantwortung des SWR. "Das Thema ist auf dem Weg in die Politik. Dort gehört es auch hin. Raus aus diesen geschlossenen Gremien des SWR, raus aus der Atmosphäre von Unterdrückung, Bespitzelung und Gängelung - mitten hinein in die Kulturpolitik. Und nicht in einen Rundfunkrat, der aus Spesenrittern besteht, die Streuselkuchen essen, aber keine kulturellen Entscheidungen verantworten können."

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel teilte bei der Kundgebung seine grundsätzliche Bereitschaft zum Gespräch mit. Die 41 badischen Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die sich in einer am 7. Februar veröffentlichten parteiübergreifenden Initiative ebenfalls für einen Erhalt des SWR-Sinfonieorchesters einsetzen, dürften den kulturpolitischen Druck auf den SWR ebenfalls erhöhen.

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