Nur wenige Blicke ins Dunkel

Saarbrücken · 1938 wurde das heutige Große Haus des Saarländischen Staatstheaters als „Gautheater Saarpfalz“ unter den Augen von Adolf Hitler eingeweiht. Anlässlich des 75. Jahrestages erinnert ein Band an diese Zeit, enttäuscht jedoch insgesamt.

 Historische Aufnahme: die Einweihung des „Gautheaters Saarpfalz“ 1938 in Anwesenheit Adolf Hitlers in der „Führerloge“. Foto: SST

Historische Aufnahme: die Einweihung des „Gautheaters Saarpfalz“ 1938 in Anwesenheit Adolf Hitlers in der „Führerloge“. Foto: SST

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Sie können ja wirklich stolz sein im Saarländischen Staatstheater: auf einen guten Ruf, auf gute Besucherzahlen, auf einen starken politischen Rückhalt. Ja, da darf man sich auch mal selbst feiern. Am besten mit einem Jubiläum. Nun hat ein Gründungsjubiläum hier einen bekannten Haken: Das heutige "Große Haus" war ein Geschenk Adolf Hitlers an die Saarländer für deren "Heim-ins-Reich-Abstimmung" 1935. Als NS-Propaganda- und Machtinstrument wurde das "Gautheater Saarpfalz" von Paul Baumgarten entworfen und 1938 in Anwesenheit von Hitler, Goebbels und Himmler eingeweiht. Will man das feiern?

Die Frage hat umso mehr Berechtigung, da ein solches Jubiläum nur auf den Bau eines Gebäudes, nicht aber auf die Begründung einer Theatertradition verweist (Theater wurde hier seit 1787 im Alten Stadttheater in der Stengelstraße gespielt). Generalintendantin Dagmar Schlingmann hat sich dennoch entschieden, an die Einweihung zu erinnern, mit Inszenierungen, Lesungen, Führungen, einer Ausstellung - und dem Band "Grenzenlos. 75 Jahre Saarländisches Staatstheater". Im Vorwort schreibt sie, man wolle "dem Jubiläum nicht aus dem Weg gehen, sondern aus der Geschichte heraus auch unsere Arbeit reflektieren." Ein löblicher Anspruch.

Optisch ist der Band äußerst ansprechend, er zeigt tolle historische Fotos - vom Bau des Theaters 1936-38, vom legendären Pariser Gastspiel mit dem späteren Weltstar Leonie Rysanek, von Probenarbeiten mit Staatstheater-Legende Hermann Wedekind, auch von jüngeren Inszenierungen. Auf 200 Seiten wird die Entwicklung des Hauses vom "ideologischen Bollwerk" zum "Theater im Herzen Europas" nachgezeichnet. Eher brav und bieder verliefen demnach die ersten Jahre nach 1948 unter den Intendanten Willy Schuller und Günther Stark, bevor Hermann Wedekind dem Haus ab 1960 zur ersten Blütezeit verhalf: Er ließ frischen Wind wehen, zeigte zeitgenössische Stoffe, brachte das Kunststück fertig, im Kalten Krieg einen Kulturaustausch mit Georgien zu initiieren. Kurt Josef Schildknecht (1991-2006) und Dagmar Schlingmann schließlich setzten weitere Akzente.

Die meisten der 20 Kapitel haben dokumentarischen Charakter. Auch wenn manch einer der allesamt eng mit dem Haus verbunden Autoren etwas zu sehr zur Eigenlobhudelei neigt, ist das Meiste doch ordentlich recherchiert und solide geschrieben. Ärgerlich dagegen ist der Umgang mit der Zeit vor 1938. Was hätte es für Möglichkeiten gegeben, die Saarbrücker Theatergeschichte aufzuarbeiten: Man hätte Historiker das blühende Theaterleben in den 20er- und frühen 30er-Jahren erforschen lassen können, ebenso den systematisch-destruktiven Zugriff der Nazis auf das Kulturleben der Stadt, die Berufsverbote für jüdische Schauspieler und Musiker 1934/35. Außer einem kurzen Ausschnitt aus Erinnerungen eines jüdischen Konzertmeisters findet man nichts dazu. Selbst Alexander Jansen, der unter dem Titel "Blicke ins Dunkel" die Jahre des Gautheaters dokumentiert, streift die Vorgeschichte lediglich. Dass hier (aus Kostengründen?) die große Chance vertan wurde, die Saarbrücker Theatergeschichte umfassender aufzuarbeiten, enttäuscht.

Jansens Beitrag ist trotz allem der mit Abstand stärkste. Schonungslos stellt er die beklemmende Zeit unter dem linientreuen Intendanten Bruno von Niessen dar, geht auf die Erstellung von Spielplänen und Inszenierungen ein. Besonders spannend liest sich die Passage über die versuchte Einflussnahme des Schauspielers, Saarbrücker Publikumslieblings und NSDAP-Mitglieds August Johann Drescher auf die Intendantenwahl 1938. Wieso einige Seiten weiter aber eine andere Autorin versucht, Drescher in ein besseres Licht zu rücken, erschließt sich nicht. So ist es letztlich vor allem Jansen zu danken, dass sich dieser Band nicht im Chronistischen erschöpft, sondern doch noch historische Erkenntnisse zu Tage fördert, die Grundlage sein können für weitere Forschung.

"Grenzenlos. 75 Jahre Saarländisches Staatstheater", hrsg. von Harald Müller und Dagmar Schlingmann, Verlag Theater der Zeit, 208 Seiten, 25 Euro.

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