Lebensräume auf Lebenszeit: Geht das nicht alle an?Folgen des "Dämmwahnsinns"

Saarbrücken. Im Grunde verdiente das Ziel der Landesstiftung Baukultur, das Bewusstsein für nachhaltige Effekte qualitätvollen Bauens zu sensibilisieren, eine breite Unterstützung. Woran liegt es, dass sie auch gut ein Jahr nach ihrer Taufe ein Nischendasein führt? Sicher nicht nur am fehlenden politischen Rückenwind, den Stiftungsvorstand Herbert Kiefer im Übrigen zu spüren glaubt

Saarbrücken. Im Grunde verdiente das Ziel der Landesstiftung Baukultur, das Bewusstsein für nachhaltige Effekte qualitätvollen Bauens zu sensibilisieren, eine breite Unterstützung. Woran liegt es, dass sie auch gut ein Jahr nach ihrer Taufe ein Nischendasein führt? Sicher nicht nur am fehlenden politischen Rückenwind, den Stiftungsvorstand Herbert Kiefer im Übrigen zu spüren glaubt. Auch lässt sich nicht behaupten, dass ihre Akteure oberlehrerhaft durchs Land zögen und jede Bausünde geißelten, obschon daran kein Mangel herrscht. Dem Führungsgremium der Stiftung - neben Kiefer der Architekt Peter Alt (Vize) und der Ingenieur Peter Schweitzer (Geschäftsführer) - ist Missionierungsdrang fremd. Eher mokieren sie sich, wenn Architekten das große Heulen überfällt, sobald ein Bauherr falsche Vorhänge aufhängt oder ein Haus in seiner Lieblingsfarbe streichen lässt. "Wenn wir als Architekten so denken, haben wir was falsch gemacht", meint der Präsident der Architektenkammer Kiefer.

Eine personelle Verquickung, die Zweifel daran nährt, ob die Stiftung so ihrem Anspruch gerecht werden kann, sich beherzt und kritisch in den öffentlichen Diskurs über Architektur und deren soziale Relevanz einzubringen. War doch gerade Gründungsargument, dass die Kammer als Berufsverband von mehr als 1000 Architekten Abhängigkeiten unterliege, die zu Rücksichtnahmen zwängen. Soll das, wenn die Köpfe dieselben sind, plötzlich anders sein? Kiefer und Alt sehen sich dennoch im Stiftungskontext in einer freieren Rolle. Zweckoptimismus? Hinter vorgehaltener Hand hört man unter Architekten Kritik. Potenzielle Zustifter würden dadurch abgeschreckt, dass die Kammer sich per Statut die Führung sicherte. Man sei durchaus bereit, das zu ändern, kontert Kiefer: "Nur, sonntags sind bekanntlich viele da und montags ist man dann allein."

Dass man vom Ziel einer Integration weiterer Verbände weit entfernt ist, stellt das Triumvirat nicht in Abrede. Die Bauingenieure vertrete er noch alleine, räumt Peter Schweitzer ein. Damit in deren Kreisen die Baukultur, ja "das integrale Arbeiten" generell mehr Bedeutung erfahre, müssten die Studienbedingungen geändert werden. Was für die angehenden Schmalspur-Architekten mit Bachelor-Abschluss wohl genauso gilt. Müsste die Stiftung mithin nicht vor allem bildungspolitisch aktiv werden, wo es schon in Primarschulen vonnöten wäre, im Zug eines fächerübergreifenden Lernens der Architektur, die doch auf Lebenszeit öffentliche Lebensräume einrichtet, mehr Aufmerksamkeit zu widmen? Peter Alt stimmt da ausdrücklich zu.

Zumindest in anderer Hinsicht dürfte in das Verhältnis Schulen/Architektur Bewegung kommen. Weil Schulen unter Konkurrenzdruck stehen, Eltern die Lernstätten ihrer Kinder genauer begutachten und in den Zeiten von Pisa auch die pädagogische Dimension von Schulräumen in den Fokus rückt, wären Schulen (und Kitas) es Wert, zu einem Kristallisationspunkt in Sachen Baukultur zu werden. "Die Entwicklung spielt uns in die Hände", ist Kiefer sicher.

Weil infolge der Kopf stehenden Alterspyramide (Stichwort Demographiefalle) bald mehr und mehr Ortsteile zu Geisterkulissen werden und damit ein Wertverfall bei Immobilien einhergehen wird, glaubt er, dass qualitatives Bauen bald auf breiter Front an Bedeutung gewinnen wird. "Ob ein Haus zu verkaufen ist, wird mehr denn je von seiner Qualität abhängen." Werden die typischen Bauherrenmodelle schwinden - jene "Häuser von der Stange", die sich Eigenheimler von Generalunternehmern entwerfen und bauen lassen, weil dies angeblich billiger kommt als mit Architekten? Schon jetzt erweist sich Dutzendware, die so viele Neubaugebiete gesichtslos macht, als schwer verkäuflich. Dreiviertel der dortigen Häuser seien "alles andere als altersgerecht", sagt Schweitzer, was zweifelsohne auch ein Kriterium für Baukultur ist. Wer wollte bestreiten, dass die "Gebrauchsfähigkeit" eines Gebäudes über seine Nachhaltigkeit mit entscheidet. Ergo tangiert die Frage, welche Gebäude wir uns künftig leisten wollen und müssen, mehr als nur ästhetische Aspekte. Dass die Stiftung sich nicht auf selbige reduzieren lässt, dürfte zu ihren vornehmsten Aufgaben gehören. Saarbrücken. Nach dem kürzlich beschlossenen Gebäude-Energiekonzept der Bundesregierung sollen bis spätestens 2050 fast alle Gebäude in Deutschland ihren CO²-Ausstoß durch energetische Sanierungen um 80 Prozent reduzieren, da Immobilien ein Drittel der CO²-Emissionen verursachten. Kritiker geißeln das Vorhaben als "Dämmwahnsinn"-Verordnung.

Landauf, landab sind auch Hauseigentümer alarmiert. Notwendige Investitionen (neben der Wärmedämmung von Fassaden und Dächern stünden vielfach neue Heizsysteme und Fenster ins Haus) würden sich erst nach 30 Jahren amortisieren, obschon sich jährlich elf Prozent (!) der Kosten auf die Mieter abwälzen ließen. Die alle Bürger, ob arm oder reich, gleichermaßen treffende Folge der Gebäudeverpackungsrichtlinie wäre ein Verschwinden historischer Bausubstanz. Acht bis zwölf Zentimeter dicke Dämmplatten (aus Styropor, Mineralfaser oder Hartschaum) würden flächendeckend in einem Akt totaler Gleichmacherei jede Fassadenkultur eliminieren, warnt etwa das Deutsche Architektur-Forum. Natursteine, Gesimse, Gewände, Stuckornamente - alles, was gerade den Fassaden von Altbauten ein Gesicht gibt, wäre bedroht, würden nurmehr Nachbildungen aus Putz auf die Kunststoffverkleidung aufgeklebt. Schon wird eine Uniformierung der Städte befürchtet.

Nichts dürfte die Baukultur in Deutschland mehr in ihren Grundfesten erschüttern als ein "Diktat der Dämmstoffindustrie", das Kritiker wähnen. Zumal dessen Nutzen infragesteht. Eine Studie des Instituts für Wirtschaftsförderung Halle über die Energieeffizienz bei Altbauten erbrachte, dass der Einspareffekt durch Wärmedämmung bei Gründerzeitbauten nur zehn Prozent, bei Bauten aus den 50ern und 60ern nur 27 Prozent betrüge. cis

 Zwei mit dem Bauherrenpreis prämierte Wohnbauten: oben ein Wohnhaus in Perl (Architekten Andrea Denzer/Georg Poensgen, Mariagen); unten Umbau Grundschule Folsterhöhe (baubar architekten Diez + Torres, Saarbrücken)Fotos: Maurer/baubar

Zwei mit dem Bauherrenpreis prämierte Wohnbauten: oben ein Wohnhaus in Perl (Architekten Andrea Denzer/Georg Poensgen, Mariagen); unten Umbau Grundschule Folsterhöhe (baubar architekten Diez + Torres, Saarbrücken)Fotos: Maurer/baubar

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