Parade eines Parasiten

Saarbrücken. Soll dieses Stück fürwahr schon über 200 Jahre alt sein? 1803 von Schiller verfasst - und viel zu selten aufgeführt. Wie man nach diesem furiosen Gastspiel des Wiener Burgtheaters in Saarbrücken nur sagen kann

 Der junge Verseschmied Firmin (Gerrit Jansen, links) und sein Papa (Johann Adam Oest), der brave Beamte. Foto: Uwe Bellhäuser

Der junge Verseschmied Firmin (Gerrit Jansen, links) und sein Papa (Johann Adam Oest), der brave Beamte. Foto: Uwe Bellhäuser

Saarbrücken. Soll dieses Stück fürwahr schon über 200 Jahre alt sein? 1803 von Schiller verfasst - und viel zu selten aufgeführt. Wie man nach diesem furiosen Gastspiel des Wiener Burgtheaters in Saarbrücken nur sagen kann. Dabei hätte ein zeitgenössischer Autor es aktueller, pointierter, gewitzter nicht schreiben können, in diesen guttenbergschen Zeiten, da man den geistigen Diebstahl zum Kavaliersdelikt kleinzureden sucht und sich blonde Mittelmäßigkeit unterm Doktorhut aufhübschen wollte.Ja, "Der Parasit", das Drama um den politischen Emporkömmling Selicour, ist tatsächlich schon so alt. Aber auch zu Schillers Zeiten war die Menschheit eben kein' Deut besser als heute. Politische Parvenus, Speichellecker, Karrieristen - sie sind leider zeitlose Vorkommnisse. Ob nun ein Fürst oder das Volk regiert.

Freilich braucht es einen Regisseur wie Matthias Hartmann, vor allem aber ein solches Ensemble wie jetzt dank der Musikfestspiele Saar hier zu erleben, um aus Schillers rarer Komödie derart funkelndes Theater zu schaffen. Die Inszenierung des Burg-Chefs zeigt aber auch: Brillantes Theater braucht keine aufwändigen Kulissen, kein Brimborium. Eine weiße Faltwand mit Türen drin - klein, groß, größer - reicht schon als Bühne. Geschwindes Türenklappen wie im Boulevardstück, das bringt Tempo. Aber die Türenreihe demonstriert auch Hierarchie. Der Hofbeamte Firmin, den Johann Adam Oest als bis zur Devotheit hin braven Landesdiener spielt, und sein heißblütiger Dichtersohn (Gerrit Jansen) bücken sich durch die niedrigste Tür. Der in sich ruhende Minister Narbonne (Udo Samel) nimmt wie seine Frau Mama (Kirsten Dene, die ihrem Filius auch mal hosenstrammziehend zeigt, wer das Sagen hat) das große Portal der Mächtigen. Eine Lust, wie diese exzellenten Schauspieler ihre Dialoge sprechen, sie in Tempo, Dynamik, Sprechfarbe geradezu musikalisch anlegen, das Beiseitesprechen mezza voce am Bühnenrand zelebrieren, Schillers Sprache blitzen lassen, jeder Satz Schärfe bekommt.

Überragend zeigt sich da Michael Maertens als Selicour. Was andere sagen und schaffen, krallt er sich, ob nun Vater Firmins Notate zur Lage des Staates oder die Liebesverse des jungen Firmin. Er verkauft es als sein Eigenes, um sich mit fremden Federn zu schmücken. Niemals reicht es bei ihm wirklich für einen eigenen Gedanken - außer dem, wie komme ich weiter. Aber aus welchem Fundus an Gesten Maertens da schöpft: dieses Schulterklopfen, Tätscheln,Winden, Katzbuckeln. Famos - und die Körperhaltung so elastisch wie die Gesinnung. Maertens (über)treibt diese personifizierte Verschlagenheit bis in die Karikatur. Doch übertreibt er damit? Nein, jedenfalls nicht, wenn man die Schauspiele auf der politischen Bühne betrachtet.

Selicours Gegenpart, der von ihm ausgebootete La Roche, ist eine Paraderolle für den Hochenergie-Schauspieler Oliver Stokowski. La Roche will es Selicour heimzahlen. In seiner blinden Rache aber rennt er mit dem Kopf an die Wand. Doch La Roche lernt schnell - und attackiert Selicour bald mit dessen eigenen intriganten Methoden. Einen Coup hat Hartmann schließlich noch für den Schluss, den er dreifach auffächert. In einen moralisch beruhigenden, in dem die Guten letztlich belohnt und der schleimige Selicour davon gejagt wird. Aber auch in zwei beunruhigende (und wohl realere) Varianten: Wo Selicour, ein einziges Mal tolldreist die Wahrheit sagend, genau damit durchkommt. Oder La Roche nahtlos Selicours Rolle übernimmt. Ein bisschen was von Selicour findet sich eben doch in (fast) allen.

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