Johannes Urzidil: Hintergründig, "hinternational"

"Was ist ein Urzidil? Kann man es fassen?", schrieb Mascha Kaléko in einem 1952 entstandenen Gedicht und nahm mit ihrer liebevollen Widmung die Ratlosigkeit vorweg, die manchen heutigen Leser angesichts dieses Namens befallen mag. Johannes Urzidil, 1896 in Prag geboren und 1970 auf einer Europareise in Rom gestorben, gehört zu den Vergessenen der deutschen Literaturgeschichte

"Was ist ein Urzidil? Kann man es fassen?", schrieb Mascha Kaléko in einem 1952 entstandenen Gedicht und nahm mit ihrer liebevollen Widmung die Ratlosigkeit vorweg, die manchen heutigen Leser angesichts dieses Namens befallen mag. Johannes Urzidil, 1896 in Prag geboren und 1970 auf einer Europareise in Rom gestorben, gehört zu den Vergessenen der deutschen Literaturgeschichte. Das hatte seine Gründe zum einen im Schicksal des Emigranten, das den Autor von seinen Lesern entfernte - Urzidil verließ 1939 mit seiner Frau Gertrude, Tochter eines Rabbiners, "in buchstäblich letzter Minute" Prag, um über Italien und England in die USA auszuwandern.Es hatte aber auch mit dem Stil seiner Erzählprosa zu tun, deren größter Teil ausgerechnet in jener Zeit publiziert wurde, da die Gruppe 47 tonangebend war. Und als in den letzten Lebensjahren Urzidils an westdeutschen Universitäten die Empfehlung umging, die blaue Blume rot zu färben, war das erst recht keine günstige Zeit für ein Werk, das mit dem Etikett "19. Jahrhundert" zur Genüge beurteilt schien. Als Lokalheiligen verehrten ihn, der sich selbst als "hinternational" bezeichnete, dann ausgerechnet - wenig tröstliche Ironie der Geschichte - vertriebene Sudetendeutsche.

Nicht hoch genug kann daher der Wert des Lesebuchs von Klaus Johann und Vera Schneider geschätzt werden. Selbst eingefleischte Skeptiker müssten zugeben: Hier ist ein Autor wiederzuentdecken, der schlicht großartig war. Sei es im "Prager Triptychon", Hommage an das geliebte Prag, die meilenweit entfernt ist von jeder gemütlichen Verklärung. Sei es in "Das große Halleluja", das ebenso einfühlsam wie ironisch von Amerika erzählt - immer behält Urzidil Poesie und Geschichte zugleich im Blick, um deren Unversöhnlichkeit in umso subtileren Tönen zum Ausdruck zu bringen. Dass dieser brillante Stilist und Meister des Hintergründigen, der die großen Fragen so spielerisch leicht und den Alltag so eigentümlich versonnen gestaltete, wieder Leser findet, wäre wahrhaftig zu wünschen. Neben dem Prosaautor stellen Johann und Schneider den Zeitgenossen Kafkas vor (Urzidil kannte ihn persönlich) sowie den politisch engagierten Publizisten, der alles andere als ein Bewohner des Elfenbeinturmes war. Ein Kapitel mit Stimmen zu Urzidil, teils aus persönlicher, teils aus literarhistorischer Perspektive, und drei Essays zu Werk und Person runden das überaus sorgfältig gestaltete Buch ab. Als Beigabe enthält es eine CD, die seine Gedankenwelt unmittelbar lebendig macht.

Johannes Urzidil: HinterNational. Ein Lesebuch von Klaus Johann und Vera Schneider. Deutsches Kulturforum östliches Europa, 370 S. (mit CD), 14,80 €

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