„Es wurde ganz offiziell Gehirnwäsche betrieben“

Ein Artikel der Schriftstellerin Zoë Jenny in der „Welt“ hat jüngst Aufsehen erregt. Darin beklagte sich die Schweizerin über die Zustände an der reformpädagogischen Freien Volksschule Basel, die sie im Alter von acht bis zehn Jahren besucht hatte. Vor ihrer Lesung im Saarbrücker Filmhaus sprach SZ-Mitarbeiter Sebastian Dingler mit der 39-Jährigen.

Frau Jenny, ein Lehrer, der Mädchen die Haare durchwühlt und ihnen beim Abtrocknen hilft - ist das schlimmer Missbrauch?

Jenny: Wissen Sie, ich habe eine kleine Tochter von dreieinhalb. Wenn sie mit acht Jahren nach Hause käme und mir erzählte, ein Lehrer habe sie berührt, ihr beim Abtrocknen geholfen oder sie aufgefordert, über Selbstbefriedigung zu reden, würde ich dafür sorgen, dass dieser Lehrer seinen Job verliert und die Schule geschlossen wird, und zwar sofort.

Rein theoretisch könnte der Lehrer Letzteres auch aus rein ideologischen Gründen getan haben. Sie gehen aber davon aus, dass er ein erotisches Vergnügen darin gesucht hat.

Jenny: Ein Kind kann das grundsätzlich nicht einordnen. Es geht davon aus, dass das, was ihm zustößt, normal ist. Das Problem ist, dass in dieser Zeit Dinge geschehen konnten, die heute unerträglich sind und die man nicht mehr erlauben würde. Ich gehe von einer hohen Missbrauchs-Dunkelziffer aus, weil ich weiß, wie unangenehm es ist, darüber zu sprechen.

Sie generalisieren sehr stark: Die Überschrift Ihres Artikels lautete "Meine Lehrer waren pädophile Weltverbesserer".

Jenny: Das war die Überschrift in der "Welt". Meine Überschrift lautete: In den Fängen der Weltverbesserer.

Was war für Sie das Schlimmste an der Schule, die Sie besuchten?

Jenny: Der Missbrauch von Vertrauen. Das waren nicht nur die Übergriffe und die Nötigung, über Selbstbefriedigung zu sprechen, sondern auch all die Ideologie: Wie kommt man denn darauf, Kindern zu sagen, dass es bald keine Bäume mehr geben wird, wenn wir nicht aufhören, Auto zu fahren? Das war ideologischer Terror! Man hat das Waldsterben, das es ja dann nachweislich in der Form gar nicht gab, zur Wissenschaft gemacht. Niemand zweifelte daran. Es wurde also ganz offiziell eine Gehirnwäsche betrieben.

Zurück zum Thema der ideologisch begünstigten Pädophilie - wie sollte den Opfern geholfen werden?

Jenny: Vor allem darf man das, was damals geschehen ist, nicht verharmlosen, indem man sagt, dass es doch jetzt schon ein Vierteljahrhundert her ist, so wie Herr Trittin das getan hat. Es gibt Männer und Frauen in meinem Alter, die haben noch weitaus Schlimmeres erlebt als ich, und quälen sich heute mit den Folgen, sind von Angststörungen geplagt und können vielleicht nicht mal mehr auf die Straße gehen. Worte des Bedauerns sind da einfach zu wenig, man muss Anlaufstellen schaffen, wo sich die Opfer melden können. Denn an die Öffentlichkeit werden sie nicht gehen.

Sie wollten auch, dass Jürgen Trittin zurücktritt. Weshalb sollte gerade er Verantwortung übernehmen?

Jenny: Wäre ich eine Person, die vor x Jahren etwas durchgewinkt hätte, das dazu geführt hat, dass Menschen heute schwer geschädigt sind, würde ich mich gefühlsmäßig mitverantwortlich fühlen und sofort zurücktreten. Das ist nicht nur eine Charakterfrage; er hat ja mit dem zögerlichen Rücktritt auch der eigenen Partei geschadet.

Wie haben Ihre Eltern reagiert auf die Vorkommnisse in der Schule?

Jenny: Ich habe es ja gar nicht erzählt! Ich dachte, es sei normal. Man erzählt als Kind nicht automatisch etwas, das ist das Verflixte an der Sache. Erst jetzt, als die Debatte über die pädophile Vergangenheit der Grünen anfing und diese unglaublichen Aussagen gemacht wurden, habe ich bemerkt, dass das, was ich erlebt habe, eigentlich viele Grenzen überschritt.

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