Einzelteile statt ein Ganzes: Pagano erzählt einen Missbrauchsfall

Saarbrücken. "Nein, so nicht, nochmal von vorn." Wenn ein Roman so beginnt und endet, lohnt es sich, den Satz genauer zu betrachten. Zu Beginn bremst er ein Schweigen und fordert einen Neuanfang

Saarbrücken. "Nein, so nicht, nochmal von vorn." Wenn ein Roman so beginnt und endet, lohnt es sich, den Satz genauer zu betrachten. Zu Beginn bremst er ein Schweigen und fordert einen Neuanfang. Am Ende von Emmanuelle Paganos Roman "Bübische Hände", nachdem dunkle Erinnerungen Gestalt angenommen haben, erwächst er aus der Unschuld einer Zehnjährigen und entfaltet eine ganz neue Dimension. Obwohl er in einem scheinbar so harmlosen Zusammenhang fällt: "Nein, so nicht, nochmal von vorn", pflegte das Mädchen früher der Oma zu sagen, wenn die beim täglichen Erzählen des Lieblingsmärchens ein Detail vergaß.Die Südfranzösin Emmanuelle Pagano umschleicht das Thema Missbrauch auf Umwegen aus vier verschiedenen Perspektiven und hält alle Lesarten offen. Das schmerzhafte Eindringen, begehrliche Wiederholen, der Verlust eines roten Fadens, der Wiederbeginn sind motivische wie rhetorische Grundbewegungen dieses Romans und seiner vier weiblichen Sprecherinnen. Das macht es nicht unbedingt leicht, ihnen allen zu folgen, zieht aber immer wieder punktuell in den Text hinein. Das jahrelange Schweigen über die Vorfälle hat sich in Syntax und Tonfall geschlichen. Rechtfertigung, Verwunderung, Scham und Abschweifung fördern die Bruchstücke einer düsteren Dorf-Vergangenheit zutage. Verwirrung gestiftet zu haben, ist dabei vermutlich Paganos oberstes Gebot. Täter- und Opferperspektiven sind nicht klar unterscheidbar. "Bübische Hände" ist ein sinnlicher, manchmal etwas überladener Text zum Thema Übergriffigkeit, der genau deshalb und mit Recht Abwehr erzeugt. An der Sprache liegt es nicht, dass das Buch dennoch nicht durchweg überzeugt. Es schwächelt in der sinnvollen Verkittung der vier Einzelteile.

Emmanuelle Pagano: Bübische Hände. Wagenbach, 139 Seiten, 16,90 €

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