Die Achtung vor dem Ort

Berlin. Wenn ein Fenster das Auge eines Hauses ist, dann schaut es im Dokumentationszentrum Hinzert auf eine weite Hügellandschaft, in der zuweilen Schafe weiden. Eine vermeintlich deutsche Idylle - wäre da nicht das historische Foto, das der Glasscheibe transparent aufgelegt wurde

 Die Synagoge am Münchner Jacobsplatz. Foto: Halbe

Die Synagoge am Münchner Jacobsplatz. Foto: Halbe

Berlin. Wenn ein Fenster das Auge eines Hauses ist, dann schaut es im Dokumentationszentrum Hinzert auf eine weite Hügellandschaft, in der zuweilen Schafe weiden. Eine vermeintlich deutsche Idylle - wäre da nicht das historische Foto, das der Glasscheibe transparent aufgelegt wurde. Es zeigt die Baracken des "Polizeihaft- und Erziehungslagers" der kleinen Gemeinde im Hunsrück, wo 13 000 Männer als politische Häftlinge interniert waren. Das Foto auf dem Fenster wird somit zur Brille, durch die man genauer auf dieses Stück Land da draußen blickt. Möglich wurde dies, weil die Architekten nicht nur das Gebäude, das sich wie eine natürliche Verwerfung in die Hügel fügt, sondern auch die Ausstellung darin gestalten durften.

In der Münchner Pinakothek der Moderne eröffnet ein 35 Meter langer Tisch den Blick auf zwölf exemplarische Planungen des Architektenteams. Ausgebreitet wurden Fotos, Dokumentationen, Modelle und zuweilen sogar Baustoffe, um den Besuchern auch haptische Reize zu bieten. So kann man den textilen Vorhang aus goldfarbenen Fasern berühren, aus dem in Dresden das Innere der Synagoge gestaltet wurde - ein Hinweis auf das Stiftszelt des Volkes Israel, in dem einst die Bundeslade aufbewahrt wurde. Auch die 11 000 kleinen Stahlblöcke mit den Namen ermordeter Frankfurter Juden, die in die Mauer des jüdischen Friedhofes am dortigen Börneplatz eingelassen wurden, werden gezeigt. Jeder Namensblock steht einige Zentimeter hervor, so dass nach jüdischem Brauch ein Stein darauf abgelegt werden kann. Das Beispiel zeigt die Achtung vor einem Ort, an dem jüdische Menschen selbst im Tod keinen Platz gefunden haben, aber an dem ihrer gedacht wird.

Ähnlich akribisch ist die Erinnerungsarbeit im Projekt "Gleis 17" am Bahnhof Berlin-Grunewald - hier können heutige Besucher auf gusseisernen Bodenplatten den Fahrplan der Deportation nachlesen. Und geradezu behutsam fügt sich das Besucherzentrum Ravensbrück in jenes Gelände, wo sich damals das Frauenkonzentrationslager befand: Das Ausstellungsgebäude berührt nur an zwei Stellen den Boden, aus Respekt vor einer Erde, die von Blut und Tränen getränkt ist. Dass diese Haltung grundsätzlich eingenommen wird, beweist die "Archäologische Zone Köln" am Rathausplatz, wo sich das Haus wie ein Schutzzelt über archäologische Ausgrabungsstätten wölbt.

Alle zwölf Projekte, die in der Ausstellung vorgestellt werden, fasst das Architektenteam zusammen unter den Titel "Material Zeit". Nicht die Verdrängung im durchaus räumlichen Sinn ist das Ziel, sondern die Transparenz eines Ortes auf jene Geschichte hin, die genau dort stattgefunden hat oder im Moment passiert. Gerade in der Materialität eines Bauwerkes soll Geschichte visualisiert werden. Eindrucksvolles Beispiel ist die Münchner Synagoge, die einen Ort besetzt, der nach dem Krieg vernachlässigter Hinterhof war und nun zu einem markanten Stadtzentrum mutiert ist.

Dass Architektur auch Ausdruck von Politik ist, dass Bauvorhaben und ihre Ausführung politisch Stellung beziehen, Diskussionsbeiträge liefern und das Bild einer Stadt, ja eines Landes prägen können, das führen die dargestellten Projekte deutlich vor Augen.

Bis 6. März. Geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.

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