Der Nachdruck der Vernunft

Wie leicht es ist, mit flotten Sprüchen zum Nahost-Konflikt Emotionen zu schüren, bewies unlängst Günter Grass. Wie wenig derlei Sprüche mit einer Kenntnis der Hintergründe des Konflikts zu tun haben, beweisen Stéphane Hessel und Elias Sanbar mit diesem Buch

Wie leicht es ist, mit flotten Sprüchen zum Nahost-Konflikt Emotionen zu schüren, bewies unlängst Günter Grass. Wie wenig derlei Sprüche mit einer Kenntnis der Hintergründe des Konflikts zu tun haben, beweisen Stéphane Hessel und Elias Sanbar mit diesem Buch. In ihrem Gespräch mit Farouk Mardam-Bey rekonstruieren sie ebenso engagiert wie präzise die Geschichte der jüdisch/israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen von der britischen Mandatszeit bis zum 2011 gestellten Antrag auf eine UN-Mitgliedschaft Palästinas.

Sowohl Stéphane Hessel (geboren 1917) als auch Elias Sanbar (geboren 1947) haben Biographien, die es verständlich machen würden, wenn sie gelegentlich eine etwas schärfere Gangart anschlügen. Stéphane Hessel, Sohn des Schriftstellers Franz Hessel (1880-1941), den die Nationalsozialisten ins französische Exil trieben, kämpfte in den Reihen der Résistance, überlebte das KZ Buchenwald. Elias Sanbar wurde mit seiner Familie Opfer der "Nakba" (Unglück, Katastrophe), der Vertreibung von über 800 000 Palästinensern in den Jahren 1947/48. Doch beide sehen ihre Aufgabe nicht in der Polemik. Vermitteln wollen sie vielmehr, was sich am kürzesten in ein Wort von Amos Oz fassen ließe: "Wie man Fanatiker kuriert".

Dass die Erinnerung nur dann der Aussöhnung dient, wenn sie nicht dazu benutzt wird, ein Unrecht gegen das andere aufzurechnen; dass Israel sich nicht durch die Schaffung von Tatsachen über UN-Resolutionen hinwegsetzen kann; dass die Palästinenser zweifellos die Opfer der Staatsgründung von 1948, aber dennoch nicht die "Juden der Juden" sind; dass jegliche historische Mythen zwar identitätsstiftend wirken, sich bei der Klärung von Sachverhalten aber selten als hilfreich erweisen - diese Lektionen erteilt der unscheinbar schmale Band mit allem Nachdruck der Vernunft. Somit darf er nicht zuletzt auch als Beitrag verstanden werden zu jener Debatte, die die "Neuen Historiker" Israels (zum Beispiel Tom Segev) mit ihren kritischen Studien in Gang gesetzt haben.

Dass dieses Buch gerade in Deutschland wahrgenommen würde, wäre zu wünschen. Zum einen hätte die Gründung des Staates Israel ohne die deutschen Verbrechen nicht diese in jeder Hinsicht existentiellen Dimensionen erlangt; zum anderen spuken bis heute in so manchem Kopf die ideologischen Phantome der Nachkriegszeit: 1967, nach dem Sechstagekrieg, folgte die DDR der Linie der Sowjetunion und brandmarkte Israel als imperialistischen Feind; nicht wenige westdeutsche Linke wiederum "bewältigten" die NS-Vergangenheit ihrer Eltern, indem sie sich Palästinensertücher umbanden, und einige RAF-Mitglieder ließen sich in PLO-Trainingslagern in Guerilla-Taktik unterweisen.

Die Kenntnis der Fakten, die für jede ernsthafte Diskussion unerlässlich ist, ist das eine. Das andere ist die Bereitschaft, diese Diskussion um der Verständigung willen zu führen und nicht mit dem Ziel, Recht zu haben um jeden Preis. Mit falschem Wohlfühlfrieden hat das wenig zu tun. Hinter dem humanistischen Plädoyer dieses Buches stehen die bitteren Erfahrungen der Gewalt. "Ein solches Erbe", sagt Elias Sanbar, enthält "nichts außer Pflichten."loq

Stéphane Hessel und Elias Sanbar: Israel und Palästina. Recht auf Frieden und Recht auf Land. Mit Farouk Mardam-Bey. Aus dem Französischen von Edmund Jacoby. Jacoby & Stuart, 159 Seiten, 14 Euro.

Foto: Daret

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