"Das ist ein wirklich neuartiges Phänomen"

Vor anderthalb Jahren berichteten die Medien nahezu täglich über die Occupy-Bewegung, heute hört man kaum noch was von ihr. Gibt es sie überhaupt noch?Kraushaar: Gute Frage. Die Bewegung als solche gibt es fast nicht mehr, allerdings nach wie vor einzelne Camps und Gruppen, die weiterhin Aktionstage planen

Vor anderthalb Jahren berichteten die Medien nahezu täglich über die Occupy-Bewegung, heute hört man kaum noch was von ihr. Gibt es sie überhaupt noch?Kraushaar: Gute Frage. Die Bewegung als solche gibt es fast nicht mehr, allerdings nach wie vor einzelne Camps und Gruppen, die weiterhin Aktionstage planen.

Warum ist der Bewegung so schnell die Luft ausgegangen?

Kraushaar: Mit der Räumung des Zuccotti Parks in New York, wo die Occupy-Bewegung ja im September 2011 ihren Ausgangspunkt nahm, ging der multimediale Effekt der Bewegung verloren. Danach wurde in den USA ein Camp nach dem anderen geräumt. In Deutschland dauerte es etwas länger, aber im Sommer 2012 wurden auch bei uns etliche Camps geräumt - damit verlor die Bewegung ihr Gerüst. Zum anderen gelang es ihr nie, größeren Anklang in der Bevölkerung zu finden. Ihre Aktionen und Proteste waren nicht gut adressiert.

Es wurde nicht deutlich, an wen - etwa an welche Institutionen - sich die Forderungen richteten?

Kraushaar: Genau. Im Herbst 2011 erzielte die Occupy-Bewegung bei Umfragen in Deutschland Zustimmungsraten von 80 bis 90 Prozent - mehr als jede Protestbewegung zuvor. Trotzdem gelang es den Aktivisten nicht, das Potenzial zu nutzen.

Aber ist es nicht ein Erfolg, wenn nun Peer Steinbrück in den Wahlkampf mit der Forderung nach einer Regulierung der Banken zieht?

Kraushaar: Naja, es wäre wohl vermessen das alleine auf die Occupy-Bewegung zurückführen zu wollen. Natürlich ist die Bewegung auch selbst eine Art Verstärker der bankenkritischen Stimmung in der Gesellschaft. Ich glaube eher umgekehrt, dass ein Teil der jüngeren Bevölkerung aufgrund der allgemeinen Stimmungslage, der Kritik an der Entgrenzung des Finanzsystems, bereit war, auf die Straße zu gehen.

Derzeit wird noch in südeuropäischen Staaten wie Griechenland und Spanien protestiert. Geht es uns Deutschen schlicht zu gut, um aufzubegehren?

Kraushaar: In der Tat sprechen objektive Daten wie die Arbeitslosenquote dafür, dass bei uns das Gefühl der Perspektivlosigkeit viel weniger ausgeprägt ist als in den südeuropäischen Ländern. Man muss sich vorstellen: In Spanien zum Beispiel liegt die Jugendarbeitslosigkeit seit rund zwei Jahren bei 50 Prozent. Davon sind wir natürlich weit entfernt. Trotz aller Krisensymptome, die wir in Deutschland auch diagnostizieren können, gibt es hier immer noch ein nicht unerhebliches Maß an Zuversicht.

Sie sagen "noch". Das bedeutet, es ist möglich, dass auch bei uns die Proteste wieder aufflammen?

Kraushaar: Das ist nicht auszuschließen. Es wird sehr stark davon abhängen, ob es gelingt, die Krise der europäischen Währungszone aufzufangen, ohne dass es zu einem Austritt Griechenlands kommt. Wenn das klappt, sind die Aussichten gut, dass wir auch weiterhin Rahmenbedingungen haben werden, die für eine Stabilität der sozialen Verhältnissen sorgen.

In ihrem Buch machen Sie einen Brückenschlag vom "Arabischen Frühling" zu "Occupy". Was verbindet die Bewegungen?

Kraushaar: Der erste Aspekt liegt in der Genese der Occupy-Bewegung. Die bezog sich in ihrer Entstehung nämlich unmittelbar auf die Proteste auf dem Tahrirplatz in Kairo. Die Occupy-Initiatoren, die interessanterweise in Kanada saßen, dachten sich: Was da in Ägypten passiert, müsste doch eigentlich auch in Nordamerika zu schaffen sein - auch wenn es dort um ganz andere Probleme geht. In Manhattan wurde geradezu nach einem "Tahrir-Moment" gerufen. Der zweite Aspekt, der im Zentrum meiner Überlegung steht, ist folgender: Trotz aller sozialen, sprachlichen, kulturellen und sonstigen Unterschiede sind sich die Akteure der Bewegungen sehr ähnlich. Sowohl in Kairo als auch in New York waren es junge, gut ausgebildete Leute ohne richtige Berufsperspektive. Diese Eigenschaften - in Kombination mit der Fähigkeit, über Social Media schnell für Mobilisierung sorgen zu können - einte sie. Ich finde das ein faszinierendes Phänomen, weil es zeigt, dass mittlerweile Protestbewegungen von jungen Leuten denkbar sind, die weit über die eigenen kulturellen Grenzen hinausgehen. Das ist ein wirklich neuartiges Phänomen.

Wolfgang Kraushaar: Der Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung. Hamburger Edition, 255 Seiten, 12 Euro.

Am Montag hält Wolfgang Kraushaar auf Einladung der Stiftung Demokratie Saarland und der Heinrich Böll Stiftung Saar einen Vortrag in Saarbrücken. Beginn: 18 Uhr im Haus der Stiftung Demokratie Saarland (Bismarckstraße 99, Saarbrücken). Anmeldung im Internet unter: www.stiftung-demokratie-

saarland.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort