Abschied vom großen „Gabo“

Mexiko-Stadt · Seine Romane haben das Südamerikabild von Generationen geprägt. Mit dem Dorf Macondo schuf er in „Hundert Jahre Einsamkeit“ einen mythischen Ort der Weltliteratur. Am Donnerstag ist der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez im Alter von 87 Jahren gestorben. Ein Blick zurück auf einen großen Künstler.

"Ich habe einfach aufgehört zu schreiben. Das Jahr 2005 war das erste in meinem Leben, in dem ich nicht eine Zeile zu Papier gebracht habe", bekannte der kolumbianische Autor in der chilenischen Tageszeitung "La Tercera". Seine Agentin hatte damals schon gesagt: "Ich glaube, García Márquez wird nie mehr schreiben."

So lebte "Gabo", wie seine Anhänger ihn nannten, seit seiner Krebserkrankung fast zehn Jahre völlig zurückgezogen in Mexiko-Stadt. Das Telefon hatte er abgemeldet, öffentliche Auftritte mied er. "Mit der Erfahrung, über die ich verfüge, könnte ich ohne Probleme einen neuen Roman schreiben. Aber die Leute würden merken, dass ich nicht mit dem Herzen bei der Sache bin", begründete der Nobelpreisträger von 1982 seinen Rückzug.

In seinen opulenten Romanen war Márquez um Detailgenauigkeit und Authentizität bemüht, wie er im ersten Band seiner Autobiografie "Leben, um davon zu erzählen" einräumte. Die meisterliche Gratwanderung zwischen hart recherchierten Fakten und exotisch anmutender Poesie hatte ihn zum Ur-Vater des sogenannten "magischen Realismus" werden lassen.

Spät fand Márquez nach abgebrochenem Jurastudium und Tätigkeiten als Auslandskorrespondent und Filmkritiker diverser kolumbianischer Zeitungen zur Literatur. Er hatte die 40 schon überschritten, als ihn seine Frau drängte, das Manuskript der "Hundert Jahre Einsamkeit" zur Veröffentlichung anzubieten. Der Roman über den Zerfall der Familie Buendia wurde zum Welterfolg; mit dem fiktiven Örtchen Macondo (der Name eines tropischen Baumes) hatte Márquez einen Handlungsschauplatz geschaffen, der seinem Geburtsort Aracataca an der kolumbianischen Karibikküste nachempfunden war und der in vielen Werken wieder auftauchte. Márquez' literarische Wurzeln liegen in der Kindheit. Seine Großmutter, bei der er aufwuchs, soll eine leidenschaftliche Geschichtenerzählerin gewesen sein und ihn mindestens ebenso stark geprägt haben wie die Werke des von ihm verehrten William Faulkner.

Seine durch die literarischen Erfolge gewonnene Popularität versuchte Márquez auch politisch zu nutzen. 1978 vermittelte er als Präsidentschafts-Kandidat der Linken zwischen der Guerilla-Bewegung "19. April" und der Regierung in Bogotá. Mit seinem politischen Engagement, das von den literarischen Arbeiten kaum zu trennen war, hatte Garcia Márquez sich allerdings nicht nur Freunde gemacht. Mario Vargas Llosa geißelte ihn 1986 auf dem Internationalen PEN-Kongress als "Kurtisane Castros". Nicht ganz zu Unrecht, denn Márquez hatte nicht nur für die staatliche kubanische Nachrichtenagentur gearbeitet, sondern gehörte lange zu Castros persönlichen Freunden. Mit etwas Fantasie lässt sich im Roman "Der General in seinem Labyrinth" in der Figur des Freiheitskämpfers Simon Bolivar auch ein Portrait Castros erkennen.

2002 erschien in Kolumbien der erste Band seiner Autobiografie in der Originalausgabe mit einer Startauflage von einer Million Exemplaren - und das in einem Land, in dem die Literatur immer noch ein Privileg der Oberschicht ist. In einigen Buchhandlungen Bogotás erklang die Nationalhymne, und Staatspräsident Alvaro Uribe rühmte Márquez pathetisch: "Die Präsenz der kolumbianischen Geschichte in der Erinnerung der Menschheit ist gesichert." Márquez hat mit seinen in die Weltliteratur eingegangenen Romanen "Chronik eines angekündigten Todes" (1981), "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" (1986) und dem über 30 Millionen Mal verkauften Roman "Hundert Jahre Einsamkeit" (1967) der lateinamerikanischen Literatur in Europa erst den Durchbruch ermöglicht. Es ist die ausgewogene Mischung aus exotischer Bildhaftigkeit und dem Wechselspiel von Mythos und Realität, die den Reiz der Márquez-schen Werke ausmacht - zuletzt noch einmal zu erleben im Alterswerk "Erinnerungen an meine traurigen Huren" aus dem Jahr 2004.

Das gigantische Werk von Márquez lässt sich kaum treffender charakterisieren als mit den Worten Heinrich Bölls: "Er ist eine einmalige Erscheinung, weil bei ihm das, was wir Engagement nennen, mit dem, was wir Poesie nennen, vollkommen übereinstimmt."

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HintergrundEine dreitägige Staatstrauer hat Kolumbiens Präsident Santos angeordnet. Er nannte Márquez "den größten Kolumbianer aller Zeiten". US-Präsident Barack Obama sagte: "Mit dem Tod von Gabriel García Márquez verliert die Welt einen ihrer visionärsten Schriftsteller und einen meiner Lieblingsautoren seit meiner Jugendzeit." In der Nacht zum Freitag wurde Márquez' Leiche im engsten Familien- und Freundeskreis eingeäschert. Unklar ist noch, ob er in seiner Wahlheimat Mexiko oder in Kolumbien die letzte Ruhe finden wird. Die Familie hat für Montag eine öffentliche Trauerzeremonie in Mexiko-Stadt angekündigt. dpa

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