Langer Kampf gegen Missbrauch

Homburg. Wie ist das, wenn eine bis dahin ziemlich heile Welt zusammenbricht? Diese Frage muss das Homburger Gymnasium Johanneum seit gut einem Jahr nicht mehr theoretisch beantworten

 Im früheren Internat des Johanneums wurden Kinder vor mehr als 25 Jahren sexuell misshandelt. Vor einem Jahr wurde das öffentlich. Foto: SZ/Heitz

Im früheren Internat des Johanneums wurden Kinder vor mehr als 25 Jahren sexuell misshandelt. Vor einem Jahr wurde das öffentlich. Foto: SZ/Heitz

Homburg. Wie ist das, wenn eine bis dahin ziemlich heile Welt zusammenbricht? Diese Frage muss das Homburger Gymnasium Johanneum seit gut einem Jahr nicht mehr theoretisch beantworten. Ende Februar 2010 war es, als eine Mitteilung des Bistums Münster ein öffentliches Erdbeben auslösen sollte: Ein Pater der Hiltruper Missionare soll vor mehr als 25 Jahren an Schülern sexuelle Handlungen vorgenommen haben, als er am Gymnasium Johanneum arbeitete, hatte es darin geheißen. Damit war der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche bis nach Homburg gekommen. Was danach folgte, war für die Patres ein Albtraum, für die Schule, an der mittlerweile längst nur weltliche Lehrer arbeiten, ebenfalls: ständig neue Verdachtsfälle, Geständnisse, ein nach einem offeneren Auftakt lange Zeit schweigender Orden. Die Schule ist heute zwar eine Stiftung, die Hiltruper reden aber über den Stiftungsrat und die Schul-gGmbH noch ein gewichtiges Wort mit.Zwölf Monate später weiß die Öffentlichkeit zwar mehr: Im Abschlussbericht eines vom Orden eingesetzten externen Ermittlers war von zwei Tätern und sechs Opfern die Rede. Für die Opfer, die zum Teil bis heute unter dem Erlebten leiden, hat ihr Martyrium nicht nur viel früher begonnen, es dauert an, und auf weltliche Gerechtigkeit brauchen sie nicht zu hoffen. Strafrechtlich müssen die Täter nichts mehr befürchten, alle Taten sind verjährt. Zumindest seelsorgerisch dürfen sie aber nicht mehr tätig sein, sagt der Orden. Außerdem wurde der damalige Internatsleiter, der von den Missbrauchsfällen gewusst und die Verantwortung übernommen hatte, vom Bistum Speyer von allen pastoralen Aufgaben entbunden.

Doch der Abschlussbericht steht genauso in der Kritik wie generell das (zögerliche) Aufklärungsbestreben des Ordens. Dabei ist es nicht die Arbeit des externen Ermittlers des Ordens selbst, die angezweifelt wird, vielmehr geht es darum, dass all diejenigen, die sich an anderen Stellen als Opfer gemeldet haben, nicht in den Bericht eingegangen seien. Es sind also insbesondere die in dem Bericht angegebenen Zahlen, die als nicht vollständig angesehen werden.

Deswegen hat sich nun eine Gruppe gegründet, die hier Abhilfe schaffen will. Initiative Ehemaliger Johanneum Homburg nennt diese sich, und sie hat einen umfangreichen Internetauftritt aufgebaut. Die Gruppe besteht aus Betroffenen mutmaßlich sexuell motivierter Übergriffe und sexuellen Missbrauchs/sexueller Gewalt am Gymnasium und Internat des Johanneums in den siebziger und den achtziger Jahren.

Hinter der Gruppe stecken nach eigenen Angaben ehemalige Schüler ebenso wie Internatschüler, ehemalige Mitglieder der Jugendgruppen am Johanneum sowie Eltern ehemaliger Internatsschüler. Sie fordern "die Aufklärung der Vorgänge und die Übernahme der Verantwortung durch die damaligen und heutigen Verantwortlichen". Die Initiative erwartet zudem den Bericht einer unabhängigen, neutralen und ermittelnden dritten Person. Ziel sei es, festzustellen, was passiert ist und auch Art und Anzahl der Übergriffe und Täter sollen darin enthalten sein. Es wird nämlich angenommen, dass mehr passiert ist als bisher eingestanden wird, vor allem, wenn alles einbezogen wird: vom sexuell motivierten Übergriff bis zum schweren Missbrauch. Es müsse zudem geklärt werden, inwiefern einzelne Mitglieder des Ordens und der Orden als solcher die Verantwortung übernehmen und tragen müsse.

Und es geht der Gruppe auch um Hilfe und Wiedergutmachung: Den Betroffenen sei bereits im Februar Hilfe zugesichert worden. Geschehen sei aber nichts.

Ein Jahr nach dem Missbrauch steht man also noch ziemlich am Anfang mit der Aufarbeitung des Skandals. Die Initiative gibt sich kampfbereit, will keine Ruhe geben, bevor nicht alles vollständig aufgeklärt und Gerechtigkeit hergestellt ist. Ein Gespräch mit dem Orden verlief Ende vergangenen Jahres erfolglos. Ein weiteres Treffen kam bislang nicht zustande.

Betroffene können sich jederzeit über die Homepage an die Initiative wenden.

Meinung

Der weite Weg zur Wahrheit

Von SZ-RedakteurinUlrike Stumm

 Im früheren Internat des Johanneums wurden Kinder vor mehr als 25 Jahren sexuell misshandelt. Vor einem Jahr wurde das öffentlich. Foto: SZ/Heitz

Im früheren Internat des Johanneums wurden Kinder vor mehr als 25 Jahren sexuell misshandelt. Vor einem Jahr wurde das öffentlich. Foto: SZ/Heitz

Ein Jahr ist eine lange Zeit, um Licht ins Dunkel zu bringen - das sollte man zumindest meinen. Doch beim Blick auf den Missbrauchs-Skandal am ehemaligen Internat des Johanneums scheinen zwölf Monate längst nicht genug zu sein. Nach dem Schock am Anfang ist es zwar nie so richtig ruhig geworden, doch trotz aller Beteuerungen: Der ehrliche Wille zur schonungslosen Aufklärung lässt sich auch bei viel gutem Willen nur sehr schwer erkennen. Zugegeben wurde vom Orden meist nur, was ohnehin nicht mehr zu leugnen war. Es wurde zwar ein Ermittler eingesetzt, ein Abschlussbericht geschrieben, doch der berücksichtigt nur Opfer, die sich direkt bei dieser Stelle gemeldet haben und wird stark kritisiert. Dabei liegt es doch nahe, dass sich die meisten traumatisierten Menschen nur schwer öffnen. Da sollte es nicht um die Frage gehen, wo sie das tun. Dazu kommt: Die Entschuldigung des Ordens kam spät, eine Entschädigung fehlt bis heute. Für die Opfer geht der Albtraum weiter. Dabei sollte es in erster Linie um sie gehen und nicht darum, dass alles (erneut) in Vergessenheit gerät. Gespräche sind das Mindeste, was angeboten werden muss - und da sollte ganz auf die Bedingungen derjenigen eingegangen werden, die unter dem Geschehenen bis heute leiden.

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