Widerstand gegen Blatter

London · Sao Paulo. Kurz vor dem Fifa-Kongress in Sao Paulo hat sich DFB-Präsident Wolfgang Niersbach mit Kritik an Joseph Blatter in den Machtkampf um den Chefposten im Weltverband eingeschaltet. Die Funktionäre wollen bei dem Treffen in Brasilien womöglich kollektiv ihren Widerstand gegen Fifa-Präsident Blatter artikulieren. Die sid-Mitarbeiter Jürgen Zelustek und Thomas Niklaus haben Niersbach interviewt.

Die Fifa-Wahlkongresse wurden extra in Nicht-WM-Jahre verlegt. Nun bestimmt aber doch ein möglicher Wahlkampf Joseph Blatter gegen Michel Platini die höchste Versammlung der Fußball-Funktionäre kurz vor dem WM-Anpfiff in Brasilien.

Wolfgang Niersbach: Ich erinnere mich gut an das Jahr 2002, als am Vorabend des Kongresses sogar noch Pressekonferenzen abgehalten wurden. Die Europäer hatten sich damals für den Kandidaten Issa Hayatou ausgesprochen. Der Kongress und die WM rückten durch den Wahlkampf in den Hintergrund. Die Verlegung der Präsidentschaftswahlen erfolgte deshalb aus gutem Grund.

Blatter hat angekündigt, sich beim Kongress in Sao Paulo als Präsidentschaftskandidat für eine weitere Amtszeit ab 2015 ausrufen zu lassen. Wie beurteilen Sie die Pläne des Fifa-Chefs?

Niersbach: Für uns beim Deutschen Fußball-Bund gilt wie für alle Europäer nach wie vor, was Joseph Blatter beim Uefa-Kongress 2011 in Paris offiziell gesagt hat. Damals hat er erklärt, dass die laufende Amtszeit definitiv seine letzte sein wird. Dass er jetzt scheinbar andere Überlegungen hat, haben wir bisher nur den Medien entnehmen können.

Sie rechnen also trotz der klaren Aussagen Blatters nicht mit einer erneuten Kandidatur? Das wäre doch überraschend.

Niersbach: Wir gehen solange davon aus, dass seine Aussage gilt, bis er offiziell eine erneute Kandidatur ankündigt. Ob er das jetzt beim Kongress in Sao Paulo machen wird, weiß ich nicht. Die Frist für eine Kandidatur läuft jedenfalls erst im Januar kommenden Jahres ab.

Das heißt, Fußball-Europa ist wieder gegen Blatter. Englische Medien berichten von konzertierten Aktionen gegen Blatter bei einer Kandidatenkür in Sao Paulo.

Niersbach: Ich kenne bisher keine derartigen Absprachen der Europäer und wüsste davon, wenn es sie gäbe. Wir warten jetzt erst einmal ab, was die Sitzungen der Kontinentalverbände ergeben, die vor dem Kongress stattfinden und bei denen Joseph Blatter auch persönlich anwesend sein wird.

Es bleibt die Frage, ob Michel Platini überhaupt kandidieren will - oder einen Machtkampf mit Blatter letztlich scheut.

Niersbach: Das sind im Moment alles Spekulationen. Ich halte es für richtig, dass Michel Platini erst einmal den Lauf der Dinge abwartet, ehe er sich öffentlich erklärt.

Aber braucht Europa nicht in jedem Fall einen Kandidaten? Auch Ihr Name wurde zuletzt in britischen Medien genannt.

Niersbach: Ich habe davon auch gehört und gelesen, aber es ist absolut nichts dran an diesem Gerücht.

Überraschend wenig Aufmerksamkeit bekommt das Thema Fifa-Reformprozess. In der Kongress-Tagesordnung ist es unter Punkt zwölf fast schon versteckt. Konkrete Anträge zu den offenen Themen Amtszeit- und Altersbeschränkung für Fifa-Funktionäre liegen offenbar nicht vor.

Niersbach: Das ist in der Tat verwunderlich. Wir fragen uns in der Uefa, warum es in einem ganzen Jahr seit dem Kongress auf Mauritius nicht möglich war, einen entsprechenden Antrag zu formulieren und vorab an die Verbände zu verschicken.

Ihr Amtsvorgänger als DFB-Präsident, Theo Zwanziger, war mit dem Thema von Blatter beauftragt worden. Ist es sein Versäumnis, dass es keinen Antrag gibt?

Niersbach: Das kann ich nicht beurteilen und würde es auch nie behaupten. Mir ist wichtig zu betonen: Die Europäer sind keine Reformblockierer, im Gegenteil: Wir hätten uns schon im letzten Jahr auf Mauritius eine Klärung gewünscht, ich selber habe dies beim damaligen Kongress sehr offen angemerkt. Der umstrittene Ex-Spitzenfunktionär Mohamed Bin Hammam aus Katar soll im Vorfeld der Weltmeisterschafts-Bewerbung seines Landes nach Angaben der Zeitung "Sunday Times" auch um die Gunst von Franz Beckenbauer und Michel Platini, Präsident der Europäischen Fußball-Union (Uefa), geworben haben. Ein paar Monate nach dem Zuschlag für Katar als Gastgeber der WM 2022 soll Beckenbauer im Juni 2011 auf Einladung Bin Hammams mit Vorständen der unter anderem im Reederei-Geschäft tätigen "E. R. Capital Holding" in Katar gewesen sein. Wie die "Sunday Times" berichtet, habe Bin Hammam auch einen persönlichen Termin des katarischen WM-Bewerbungskomitees bei Platini im Oktober 2010 in Nyon arrangiert. Diese Behauptung wies Platini vehement zurück.

Beckenbauers Management wollte sich zu Details nicht äußern und verwies auf eine Stellungnahme des 68-Jährigen: "Ich habe nie für Katar oder für Bin Hammam gearbeitet", hatte die deutsche Fußball-Legende gesagt. Ein Sprecher bestätigte, Beckenbauer habe vom 1. April 2011 bis Ende März 2014 als Berater und Botschafter für die "E. R. Capital Holding" gearbeitet. Ein Sprecher des Unternehmens erklärte der "Sunday Times", das Treffen habe sich um eine mögliche Zusammenarbeit mit katarischen Investoren im Schifffahrts-Sektor gedreht. Ein Vertrag sei dabei nicht zu Stande gekommen.

"Ich kann nur sagen, dass ich in Abstimmung mit dem Deutschen Fußball-Bund für den Bewerber gestimmt habe, der uns am geeignetsten erschien, eine gute und erfolgreiche Weltmeisterschaft auf die Beine zu stellen und durchzuführen. Es hat mich selbst überrascht, dass es dann Katar wurde", sagte Beckenbauer. Die DFB-Führung gilt seit jeher als Katar-kritisch.

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