Erweiterte Hoffnungen

Saarbrücken · Der saarländische Turn-Star Pauline Schäfer absolviert gerade die Grundausbildung bei der Bundeswehr. Über die Sportfördergruppe kann sie sich auf ihr nächstes großes Ziel konzentrieren: Olympia 2020 in Tokio.

 Sie ist das Gesicht des saarländischen Turnsports, das Aushängeschild schlechthin: Olympia-Teilnehmerin und WM-Bronzemedaillengewinnerin Pauline Schäfer aus Bierbach. Foto: oliveira/dpa

Sie ist das Gesicht des saarländischen Turnsports, das Aushängeschild schlechthin: Olympia-Teilnehmerin und WM-Bronzemedaillengewinnerin Pauline Schäfer aus Bierbach. Foto: oliveira/dpa

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Jahrelang hat der Saarländische Turnerbund (STB) auf diesen Moment gewartet. Wie hätte auch ein Verband, immerhin in einer olympischen Kernsportart, seinen Nachwuchs gescheit ausbilden sollen, geschweige denn Spitzenathleten herausbringen, wenn die einzig verfügbare Trainingsstätte ihren Namen kaum mehr verdient? "Wir haben lange gekämpft, hatten zwischendurch schon die Hoffnung verloren. Aber im Frühjahr 2017 ist es endlich soweit", sagt Franz Josef Kiefer , der Präsident des STB: "Für unsere Sportler ist das eine große Motivation, alle freuen sich darauf."

Nach zähen Verhandlungen wird der Landessportverband für das Saarland den Erweiterungsbau an der Turnhalle der Hermann-Neuberger-Sportschule in Angriff nehmen - das erste große Bauprojekt auf dem Gelände seit der Multifunktionshalle hinter der Leichathletik-Halle. Vier Millionen Euro werden laut Kiefer investiert, sodass das Training "internationalen Maßstäben gerecht wird".

Das ist auch nötig, wenn man als Verband das Ziel hat, Talente bis in die Nationalmannschaft hinein zu entwickeln. Dieses Ziel formuliert Kiefer für das männliche Gerätturnen. Mit Waldemar Eichorn hat das geklappt, wenngleich er die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio verpasst hat. Mit Luca Ehrmantraut, auch Korbinian Jung und Djamal Mergen, stehen die nächsten Talente parat, die von Landestrainer Viktor Schweizer jetzt nach vorne gebracht werden sollen.

Lernen können und sollen sie auch von Vorbildern. Oder "Leitbildern", wie Kiefer sagt. Er nennt zuallererst Oleg Wernjajew, den Vize-Olympiasieger im Mehrkampf. Der Ukrainer steht noch für diese Saison bei der TG Saar unter Vertrag, die am 1. Oktober in die neue Bundesliga-Runde startet. Immer mal wieder ist der 22-Jährige für Trainingsblöcke im Saarland - und könnte, wenn es nach Kiefer geht, dies auch für einen längeren Zeitraum tun. Eine Einbürgerung, sagt der STB-Präsident, sei ein Thema, dem Oleg "nicht unbedingt abgeneigt" sei. "Da muss man die politische Entwicklung in seiner Heimat abwarten und die Entscheidung finanziell abwägen. Aber er wäre eine Leitfigur, die bis in die Breite hineinwirken kann", glaubt Kiefer.

Dem STB-Präsidenten liegt es aber fern, nur darauf zu spekulieren, den weltweit zweitbesten Turner hinter dem Japaner Kohei Uchimura einzukaufen, um sich in seinen künftigen Erfolgen zu sonnen. Kiefer legt großen Wert auf gesunde Strukturen im Verband, auf ein Miteinander von Spitzensport, ambitioniertem Breitensport, aber auch präventiven oder gesundheitsfördernden Angeboten. Kein anderer Verband muss einen solchen Spagat leisten - von Mutter-Kind-Turnen bis zur Olympia-Teilnahme.

Und beinahe nebenbei schaut der STB auch über den Tellerrand, veranstaltet an diesem Wochenende an der Sportschule den ersten Saarbrücker Turn- und Sportkongress. Auf dem Programm stehen über 140 Workshops und Vorträge zu den Themenfeldern Vereinsführung/Vereinsstrategie, Bewegungsförderung im Kinderturnen, Fitness (Functional, Gesundheit, Dance und Natur), Bewegungsangebote für Ältere, Bewegungsangebote in der Rehabilitation, Fitness im Wasser und Gerätturnen. 550 Anmeldungen liegen vor.

Trotzdem gibt STB-Präsident Kiefer klar zu verstehen, dass er im Verband nicht nach dem Gießkannen-Prinzip fördere, sondern nach einer Prioritätenliste - mit Gerätturnen männlich an Position eins. Erst dahinter kämen Gerätturnen weiblich und die Rhythmische Sportgymnastik , obwohl das Saarland gerade in diesen Bereichen zuletzt die größten Erfolge vorzuweisen hatte. In der Sportgymnastik waren Mira Bimperling und Cathrin Puhl 2012 in London mit der deutschen Gruppe am Start und wurden Olympia-Zehnte. 2016 verpasste Laura Jung die Teilnahme im Einzel. Und im Gerätturnen weiblich überstrahlen Pauline Schäfers Erfolge ohnehin alles. "Hier müssen wir aber ehrlich sein", sagt Kiefer: "Wir sind in diesen beiden Sparten in der Lage, die Talente sehr weit zu bringen. Aber nur so weit, dass sie woanders weitergefördert werden. Wir sind nicht in der Lage, Weltspitze hervorzubringen."

Pauline Schäfer trainiert seit Jahren am Stützpunkt in Chemnitz, ihre jüngere Schwester Helene auch. Beide sind Kandidatinnen für die Sommerspiele 2020 in Tokio - ebenso Gymnastin Daniela Huber , die am Bundesstützpunkt in Schmiden lebt. Kiefer lobt in diesem Zusammenhang allerdings ausdrücklich die Trainerteams um Karoline Salomon (Gerätturnen) und Karin Schalda-Junk (Rhythmische Sportgymnastik ). Im heranführenden Bereich sei der STB sehr gut aufgestellt - auch dank der Turntalentschulen in Dillingen, Saarbrücken , St. Ingbert, Homburg und Eppelborn.

Und eine starke Grundausbildung von Talenten, sagt Kiefer, sei ja "trotz fehlender Voraussetzungen" möglich gewesen. Mit dem Umbau der Turnhalle an der Saarbrücker Sportschule sieht die Zukunft im saarländischen Turnen noch rosiger aus. Wenngleich die Hoffnungsträger für Tokio, die Schäfer-Schwestern und Daniela Huber , inzwischen von der Kompetenz an anderen Standorten profitieren müssen.Komplett verarbeitet hat Pauline Schäfer die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro noch nicht - auch wenn es schon mehr als einen Monat her ist, dass sie dort mit dem Nationalteam Rang sechs belegte und den größten Erfolg deutscher Turnerinnen seit der Wiedervereinigung feierte. "Unsere Leistung war grandios. Mit der Einzelwertung war ich nicht so glücklich. Ich kann mich über das Abschneiden bei meinen ersten Spielen aber nicht beschweren", sagt die 19-Jährige und trauert ein bisschen dem verpassten Finale am Paradegerät Schwebebalken nach.

Zurück in der Heimat, hatte Schäfer kaum Zeit, sich von dem Abenteuer zu erholen. Die Bundeswehr rief, und der Olympia-Star tauschte Turndress gegen Tarnkleidung ein. "Seit zwei Wochen mache ich in Hannover meine Grundausbildung. Das ist neu und anstrengend", sagt die Angehörige der Sportfördergruppe. "Wir marschieren mit Gepäck und haben Waffenausbildung", berichtet die Bierbacherin vom Tagesablauf, an dem sich so schnell nichts ändern dürfte. Nach vier weiteren Wochen Drill wird Schäfer in Todtnau im Schwarzwald stationiert. Dort will sie wieder voll trainieren.

"Ich fokussiere mich künftig nicht nur auf den Schwebebalken , sondern will mich an allen Geräten steigern", betont Schäfer. In Rio hatte sie beim Mehrkampf zuschauen müssen, in Tokio will die Bundesliga-Turnerin des TuS Chemnitz-Altendorf an allen Geräten eingesetzt werden. "Nach Rio ist vor Tokio", sagt die Weltklasse-Athletin, die einen besonderen Wunsch hat: "Zusammen mit Helene bei Olympia starten - das wäre ein Traum."

 Die neue Hoffnungsträgerin in der Rhythmischen Sportgymnastik: Daniela Huber vom TV Rehlingen. Foto: fassbender

Die neue Hoffnungsträgerin in der Rhythmischen Sportgymnastik: Daniela Huber vom TV Rehlingen. Foto: fassbender

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 Hier trainieren die saarländischen Turner derzeit. Die Halle an der Sportschule wird deutlich erweitert. Foto: Schlichter

Hier trainieren die saarländischen Turner derzeit. Die Halle an der Sportschule wird deutlich erweitert. Foto: Schlichter

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Ihrer 15 Jahre alten Schwester traut Pauline Schäfer viel zu: "Helene wird weit kommen, und ich unterstütze sie dabei. Der gemeinsame Weg nach Tokio ist noch weit. Wir werden uns aber gegenseitig puschen - dann klappt das schon." Auch Franz Josef Kiefer , Präsident des Saarländischen Turnerbundes, setzt auf beide: "Helene ahmt ihrer Schwester nach, sie ist ihr großes Vorbild." Er traue beiden für Tokio eine gewichtige Rolle in der deutschen Mannschaft zu.

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