Holzdeppe behält die Nerven und belohnt sich

Peking · Was für ein Tag für Stabhochspringer Raphael Holzdeppe: Nach einem Seuchenjahr 2014 mit vielen Verletzungen ist der 25-Jährige wieder zurück in der Weltspitze und wurde gestern in Peking Vize-Weltmeister.

Raphael Holzdeppe schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf, schnappte sich eine Deutschland-Flagge und startete seine ausgelassene Silber-Party. Der beste deutsche Stabhochspringer verpasste zwar einen erneuten WM-Coup, freute sich im Vogelnest von Peking aber auch über Platz zwei. Der 25-Jährige vom LAZ Zweibrücken meisterte 5,90 Meter und musste sich nur dem kanadischen Überraschungssieger Shawnacy Barber geschlagen geben, weil dieser seine Siegeshöhe bereits im ersten Versuch übersprungen hatte. Topfavorit Renaud Lavillenie (Frankreich) wurde seinen WM-Fluch nicht los und holte nur Bronze.

"Ich bin einfach überglücklich. Ich habe alles gegeben, was drin war, mein ganzer Körper tut weh", sagte Holzdeppe: "Es war ein Auf und Ab der Gefühle. Heute Abend wird es eine gute Feier geben." Holzdeppe holte mit Silber die dritte Medaille für das deutsche Team in Peking , der erst 21 Jahre alte Barber sicherte Kanada erst das fünfte WM-Gold überhaupt.

"Air France " Lavillenie stürzte bei einer WM schon wieder ab. Der haushohe Favorit konnte sein Trauma nicht besiegen und musste sich nach 5,80 Metern mit dem dritten Platz zufrieden geben. Der 28 Jahre alte Olympiasieger und Weltrekordler war restlos bedient, schließlich wollte er endlich den einzigen Titel gewinnen, der ihm in seiner Sammlung noch fehlt. Der dreimalige Europameister hatte schon 2013 mit Silber und zuvor zwei Mal Bronze Pleiten eingesteckt. Neben Lavillenie holten die höhengleichen Pawel Wojciechowski und Piotr Lisek (beide Polen) Bronze.

Nach seinem Wackler in der Qualifikation, als er seine Anfangshöhe erst im dritten Versuch meisterte, begann Holzdeppe im Finale hellwach. 5,65 Meter meisterte er souverän, die nächste Höhe 5,80 Meter im zweiten Versuch. Dann bewies er absolute Nervenstärke: Vor dem Aus stehend, meisterte Holzdeppe die 5,90 Meter sauber im dritten Durchgang. Die sechs Meter für Gold lagen an diesem Abend aber zu hoch.

Nach einem Seuchenjahr 2014 hatte Holzdeppe vor der Saison den Resetknopf gedrückt und sich in der alten Heimat eine neue Wohlfühl-Atmosphäre geschaffen. Aus München kehrte er nach Zweibrücken zu seinem alten Trainer Andrej Tiwontschik zurück, zog mit seiner Freundin, der Weitspringerin Sosthene Moguenara, zusammen und hat auch wieder seine alten Kumpels um sich. "Das spielt eine große Rolle, ich fühle mich einfach wohl und bin nicht mehr so viel auf der Autobahn unterwegs", hatte Holzdeppe vor der WM gesagt: "Und diese Kraft, die ich dadurch spare, kann ich ins Training stecken." In diesem Jahr war Holzdeppe von Verletzungen verschont geblieben und steigerte seine Bestleistung bei der DM in Nürnberg auf 5,94 Meter.

Ganz bitter verlief der Tag dagegen für Disziplin-Kollegin Silke Spiegelburg. Drei Fehlversuche über 4,55 Meter, davor die 4,45 Meter erst im dritten Anlauf übersprungen: Das reichte nicht aus, um das Finale der besten 14 am Mittwoch um 13.05 Uhr deutscher Zeit zu erreichen. Die deutsche Meisterin Lisa Ryzih ist dann dabei, die ehemalige WM-Zweite Martina Strutz (beide 4,55 Meter) ebenfalls - nur die deutsche Rekordhalterin nicht. Nach ihrem Aus warf sie wütend ihre Trinkflasche weg und trat gegen ihre Sporttasche. Dann packte sie ihre Sachen zusammen und verschwand in den Kabinen des Olympiastadions. Zu den Journalisten sagte sie kein Wort.David Storl wollte einfach nur raus aus China. Letzte Interviews, die Siegerehrung am Montagabend, ein paar Stunden Schlaf, und am Mittwoch endlich ab zum Flieger - so der Fahrplan des Kugelstoß-Riesen, der den Frust über das verpasste WM-Gold aber im Gepäck haben wird. "Ich hatte in Peking ein Ziel und habe es nicht erreicht", sagte Storl: "Wenn ich mich nicht darüber ärgern würde, wäre es die falsche Herangehensweise für die kommenden Jahre."

Es ist eine Unzufriedenheit auf hohem Niveau: Nach den Weltmeistertiteln 2011 und 2013 gab es im Vogelnest mit Silber und 21,74 Meter hinter dem Amerikaner Joe Kovacs (21,93) zwar die nächste große Medaille. Doch Storls Anspruch verlangt nach mehr. "Vielleicht kann ich mich in den nächsten Tagen darüber freuen, aber in erster Linie wollte ich hier gewinnen", sagte der 25-Jährige: "Ich habe mir zu viel Druck gemacht, die eigene Erwartungshaltung war zu groß."

Keine 360 Tage sind es bis zum olympischen Finale am 18. August 2016 im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro. Für Storl geht es nun darum, die Lehren aus dem Auftritt von Peking zu ziehen. "Dass ich nach einem solchen Wettkampf noch 21,74 stoße und eine Medaille sichere, zeigt mir immerhin, dass das Grundniveau stimmt", sagte Storl. Andererseits: Bislang war es die große Stärke des Leipzigers, just zum Saisonhöhepunkt seine beste Leistung abzurufen. Diesmal blieb Storl aber klar hinter seiner Vorleistung von 22,20 Meter zurück. "Ich hätte das Niveau dazu gehabt, die Trainingsleistungen waren vielversprechend. Die Leistung hier passte nicht dazu", analysierte Storl.

Der sonst so gefestigte Storl verlor mit dem ungültigen ersten Versuch Lockerheit und Technik, musste mit der Brechstange Silber retten. "Es war wohl einfach nicht mein Wettkampf", sagte Storl: "Wenn Dir beim Formel-1-Wagen der Reifen platzt in der ersten Runde, dann bist Du auch erst mal aus dem Tritt." Immerhin: Das chronisch schmerzende linke Knie machte diesmal keine Probleme, eine erneute Operation im Herbst ist vom Tisch. "Die würde Rio gefährden, daher versuche ich es ohne", sagte Storl: "Ich müsste im Winter soweit schmerzfrei sein, dass ich Beinkraft aufbauen kann."

Mit 25 Jahren ist Storl trotz aller Erfolge noch jung, gemeinhin kommt die beste Karrierephase noch. "Ich hoffe, dass ich noch zehn Jahre Sport machen kann", sagte Storl: "Aber dann muss ich vielleicht nach Olympia die Belastung ein Jahr runterfahren, um dem Körper Regeneration zu schenken." Das Diskus-Trio um die deutsche Meisterin Julia Fischer (Berlin) hat bei der Leichtathletik-WM in Peking geschlossen das Finale im Diskuswerfen (heute, 13 Uhr/ARD ) erreicht. Die Freundin von Olympiasieger Robert Harting übertraf die geforderte Qualifikationsweite von 63 Metern mit 63,38 Metern gleich im ersten Versuch. "Das ist die erste WM, vor der ich keine Angst habe. Ich bin selbstbewusst und weiß, ich habe was drauf", sagte die 25-Jährige. Auch die EM-Dritte Shanice Craft (62,73/Mannheim) und die frühere WM-Zweite Nadine Müller (64,51/Leipzig) stehen im Finale.

Einen starken Eindruck hinterließ Gesa Felicitas Krause (Frankfurt). Die deutsche Meisterin spazierte in 9:24,92 Minuten souverän ins Finale über 3000 m Hindernis (Mittwoch, 15 Uhr/ZDF ). "Ein wenig liebäugele ich mit dem deutschen Rekord, bis dahin fehlen mir ja nur noch anderthalb Sekunden. Ich hoffe, dass die eigenen Kräfte und der Kopf mitspielen", sagte die 23-Jährige."

Für die Weitspringer Fabian Heinle (Tübingen) und Alyn Camara (Leverkusen) ist die WM beendet. Heinle reichten 7,96 Meter nicht zum Finale, Camara kam nicht über 7,66 Meter hinaus. Speerwerfer Johannes Vetter (SV schlau.com Saar 05 Saarbrücken) hat bei seiner WM-Premiere das Finale erreicht. Der 22-Jährige warf gestern 80,86 Meter und sicherte sich damit den letzten Platz im Finale der besten Zwölf, das morgen um 13.05 Uhr deutscher Zeit stattfindet. Noch weiter warfen die anderen Deutschen: Thomas Röhler (Jena) warf 83,23 Meter, Andreas Hofmann (Mannheim) erzielte mit 86,14 Metern sogar persönliche Bestleistung und war Tagesbester. Sicher weiter kamen auch Titelverteidiger Vitezslav Vesely (Tschechien), der Jahres-Weltbeste Julius Yego (Kenia) und Ex-Weltmeister Tero Pitkämäki (Finnland).

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