Der Sprint-König siegt und fällt

Peking · Christina Obergföll startet als Titelverteidigerin in Peking, doch eine Medaille ist nicht das Ziel der Speerwerferin. Nach Babypause will sie eine ordentliche Leistung abliefern. Heute muss sie die Qualifikation überstehen.

Plötzlich lag Usain Bolt doch noch am Boden. Ein chinesischer Kameramann auf einem Segway hatte den Superstar beim Jubeln von hinten angefahren, Bolt strauchelte, fiel rücklings hin, aber berappelte sich ganz schnell wieder. Diesen Mann kann nichts aufhalten. Erst recht nicht sein großer Rivale Justin Gatlin . In Peking stürmte Bolt mit einer beeindruckenden Show in 19,55 Sekunden zum Sprint-Double.

"Prima gemacht, Usain!", lobte sich Bolt nach seinem insgesamt zehnten WM-Gold selber: "Ich habe immer gesagt, dass ich das schaffe. Ich hatte nie einen Zweifel. Auf den 200 Metern bin ich ein anderer Mensch. Das ist ein großes Geschenk für mich und unser Land." Nach 2009 und 2013 holte sich Bolt zum dritten Mal beide Sprinttitel und klopfte sich im Ziel stolz auf die Brust.

Vier Tage nach seinem 100-Meter-Triumph ließ Bolt Gatlin wieder nicht den Hauch einer Chance. Der US-Amerikaner kassierte im Zweikampf "Gut gegen Böse" die nächste Pleite. Der bereits zweimal wegen Dopings gesperrte 33-Jährige musste sich nach 19,74 Sekunden wie schon über die 100 Meter mit Silber begnügen. Bronze gewann Anaso Jobodwana aus Südafrika (19,87). "Ich will nächstes Jahr noch stärker zurückkommen", sagte Gatlin und kündigte Bolt für Olympia in Rio einen harten Kampf an.

Kurz hockte Bolt nach dem Rennen ausgepumpt auf einer Holzbank. Aber er kommt seinem Ziel, die größte Legende der Leichtathletik-Geschichte zu werden, immer näher. Mit seinem nächsten Gold vergrößerte Bolt seinen Vorsprung als erfolgreichster Athlet der WM-Geschichte vor Carl Lewis und Michael Johnson (jeweils achtmal Gold /beide USA).

Am Ende seiner Ehrenrunde lieferte Bolt dem Publikum auch wieder seine bekannten Mätzchen. Er schnappte sich eine Selfie-Stange und knipste Fotos für die Fans, dirigierte die Fotografen, um sich bestens ins Bild zu rücken und zeigte unter dem Jubel der Zuschauer auch wieder seine berühmte Blitz-Pose. Nun strebt Bolt noch den Titel mit der jamaikanischen 4x100-Meter-Staffel an.

Den Kamera-Unfall nahm Bolt übrigens mit Humor. "Es gehen schon Gerüchte um, dass Justin Gatlin ihn dafür bezahlt hat", sagte er, "aber im Ernst: Ich war schon erschrocken, aber meine Beine sind in Ordnung." Gatlins Konter war nicht weniger spaßig. "Ich will mein Geld zurück. Der hat da etwas falsch verstanden", sagte Gatlin, "er sollte das vor dem Rennen machen. Nicht danach."Wenn die Mama ins Bild kommt, lacht der kleine Marlon - und die Eltern im fernen China sind glücklich. Doch langsam muss sich Christina Obergföll auf das Speerwerfen konzentrieren. Heute beginnt auch für sie die Leichtathletik-WM. Zum Glück und dank Skype kann sie ihren Sohn, der zu Hause bei Oma und Opa in besten Händen ist, praktisch jeden Tag sehen.

Marlon ist jetzt 14 Monate alt, er war der schönste Grund für die Weltmeisterin , eine Pause einzulegen. "Wir skypen mit meinen Eltern. Er lacht dann schon mal, aber so richtig checkt er das noch nicht", sagte die stolze Mutter. Immerhin: Der Filius läuft schon.

Gut laufen soll es heute auch für Marlons Mama. "Wir haben gut trainiert, und ich fühle mich bestens vorbereitet", sagte 34-Jährige von der LG Offenburg. Dafür hat auch ihr Ehemann, Bundestrainer Boris Obergföll , gesorgt. Bei der Baby-Betreuung hat sich der ehemalige Weltklasse-Speerwerfer sogar eine glatte Eins verdient. "Man ist ständig im Stand-by-Modus und kann nicht hundertprozentig abschalten", berichtet er. "Und wenn er nachts schreit, dann spring' ich halt."

Silber bei der WM 2005 und 2007, Gold vor zwei Jahren in Moskau - Siege und Erfolge sind Christina Obergföll wichtig. Medaillen sind aber längst nicht alles. "Wenn man Weltmeisterin ist und schon sieben internationale Medaillen gewonnen hat, dann hat man natürlich einen hohen Anspruch", erzählte sie. Doch vielen Athleten würde schon ein vierter Platz viel bedeuten. Für die Olympia-Zweite wäre das "kein Weltuntergang, wenn's jetzt nicht klappt, weil ich in Rio noch mal 100 Prozent da sein möchte." Nach den Spielen 2016 soll dann aber Schluss sein. Obergföll ist dann 35.

Doch jetzt ist sie in Peking , und sie will auch hier das Beste abliefern. "Wenn ich einen guten Tag erwische, dann kann ich auch ganz vorn mitmischen", sagte die Weltklasse-Speerwerferin. "Ich bin nicht hier, um meinen Titel zu verteidigen. Ich bin hier, um meine Saisonbestleistung zu steigern." Und die steht bei 64,11 Metern. "Wenn ich die Quali-Weite von 63,50 Meter packe, dann habe ich schon mal die zweitbeste Leistung in diesem Jahr geschafft", sagte Obergföll. Das ist ihr Ziel - und das Finale am Schluss-Sonntag der WM völlig offen.

Wenn es um die Medaillen geht, sieht Christina Obergföll eine andere junge Mutter ganz vorn: Die Tschechin Barbora Spotakova ist für sie die große Favoritin. Hinter Spotakova können sich "zehn Damen Hoffnung auf eine Medaille machen", prophezeit sie. Weil Obergföll als Weltmeisterin eine Wild Card hat, geht ein deutsches Quartett an den Start. Die deutsche Meisterin Katharina Molitor ist gut in Form und Linda Stahl (beide Bayer Leverkusen ) immer für eine Überraschung gut. Christin Hussong (LAZ Zweibrücken) freut sich auf ihr WM-Debüt. Michael Schrader lässt die Muskeln spielen. Vor seiner Rückkehr auf die große Bühne präsentierte der 28-Jährige seinen durchtrainierten Oberkörper ausgiebig bei Facebook . Schrader ist topfit - und er brennt auf das Zehnkampf-Duell mit Weltrekordler Ashton Eaton (Freitag, ab 3 Uhr unserer Zeit/ZDF ).

Die lange Leidenszeit nach einem Patellasehnenriss hat ein Ende: "Ich kann es kaum erwarten", sagt Schrader, der zwei Jahre nach seinem Silber-Coup in Moskau wieder eine Medaille anpeilt. "Natürlich will ich vorne mit dabei sein", sagt Schrader, der glaubt, im Vergleich zu seiner Saisonbestleistung von Ratingen (8419 Punkte) noch "was draufpacken" zu können.

Wenn alles normal läuft, kämpft der Berufssoldat aber "nur" um Silber . Gold scheint wieder für den 27 Jahre alten Weltrekordler Eaton (9039 Punkte) reserviert. Der Titelverteidiger hat zwar seit zwei Jahren keinen Zehnkampf bestritten, aber das muss beim Olympiasieger nichts heißen. In der Szene wird geraunt, er habe im Training wahre Wunderleistungen hingelegt. "Er ist eigentlich nicht zu schlagen", sagte Schrader. Doch auch Eatons Ehefrau Brianne Theisen-Eaton war als Top-Favoritin im Siebenkampf angereist und musste sich am Ende mit Silber zufrieden geben.

Weitere Medaillenanwärter sind Eatons Landsmann und Ex-Weltmeister Trey Hardee, mit 8725 Punkten die bisherige Nummer eins der Welt, sowie der Kanadier Damian Warner (zuletzt 8659 Punkte). Neben Schrader starten die beiden Deutschen Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) und Rico Freimuth (SV Halle/Saale).

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Auf Einen BlickHammerwerferin Betty Heidler hat eine Medaille bei der WM in Peking verpasst. Die Ex-Weltmeisterin aus Frankfurt wurde gestern mit 72,56 Metern Siebte. Kathrin Klaas (ebenfalls Frankfurt) kam mit 73,13 Metern auf den sechsten Rang. Gold gewann mit großem Abstand die polnische Topfavoritin Anita Wlodarczyk mit 80,85 Metern und verpasste damit nur knapp ihren am 1. August aufgestellten Weltrekord von 81,08 Metern. Silber gewann im Nationalstadion die Chinesin Wenxiu Zhang mit 76,33 Metern vor der Französin Alexandra Tavernier (74,02). dpa

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