Djokovic lebt einen goldenen Traum

Paris · Novak Djokovic will nach seinem Triumph bei den French Open nach dem Golden Slam greifen. Den Sieg bei allen vier Majors plus die Goldmedaille bei Olympia in nur einem Jahr hat bisher nur Steffi Graf geschafft.

Beim Champagner-Umtrunk unter Müttern genossen Dijana Djokovic und Judy Murray das "savoir vivre" nach einem denkwürdigen Finale im Stade Roland Garros . Doch die Serbin blickte ein wenig ernster drein als die Schottin. Vielleicht ahnte sie schon, dass ihrem überglücklichen Sohn Novak Djokovic nach seinem ersten French-Open-Triumph, der seine Major-Sammlung komplettierte, nicht viel Zeit zum Genießen gewährt wird.

Die Frage jedenfalls, ob der 29-Jährige als erster Spieler nach Rod Laver 1969 in dieser Saison den Grand Slam holen kann, sie war allgegenwärtig. "Ich will ja nicht arrogant klingen, aber ich denke, dass im Leben alles erreichbar ist", sagte die Nummer eins nach dem beeindruckenden 3:6, 6:1, 6:2, 6:4 gegen den Schotten Andy Murray , die Nummer zwei der Welt.

Djokovic verschwieg, dass im olympischen Jahr 2016 nicht nur der Grand Slam, sondern sogar der Golden Slam das Ziel ist. Alle vier Majortitel plus Olympiagold hat bislang nur Steffi Graf (1988) geholt. Es ist eine historische Chance, die sich dem schier unantastbaren Djokovic bietet. Seine verstorbene erste Trainerin Jelena Gencic hätte recht behalten, als sie den jungen Novak einst "goldenes Kind" nannte.

Die Dominanz des zwölfmaligen Grand-Slam-Champions jedenfalls ist erdrückend. "Phänomenal, was er in den letzten zwölf Monaten geleistet hat. So etwas wird es vielleicht lange Zeit nicht mehr geben", lobte Murray. Als dritter Spieler in der Geschichte und erster nach Rod Laver vor 47 Jahren hält Djokovic alle vier Grand-Slam-Trophäen gleichzeitig. Die "L'Equipe", die Djokovic auf der Titelseite mit der Überschrift "Plus Grand" (größer) huldigte, sah sich sogar veranlasst, eine Abstimmung zu starten. Über die ultimative Rangfolge der Superstars Roger Federer , Rafael Nadal und Djokovic.

Der Schweizer (17) und der Spanier (14) sind dem Serben in Sachen Major-Titel zwar (noch) voraus. Doch dieser ist längst aus dem Schatten von Maestro Federer und Sandplatzkönig Nadal getreten. "Dabei war es am Anfang alles andere als freudig, Teil dieser Ära mit Roger und Rafa zu sein", sagte Djokovic schmunzelnd und mit Blick auf einige bittere Lehrstunden: "Ich habe akzeptiert, dass ich mich mit diesen beiden Champions messen muss. Und ab diesem Punkt ging es bergauf."

Sowohl gegen Federer (23:22 Siege) als auch gegen Nadal (26:23) und Murray (24:10) besitzt das Sprachengenie mittlerweile eine positive Erfolgsbilanz. "Er hat unglaubliche Schritte in den letzten fünf bis sieben Jahren gemacht", lobte Federer: "Jetzt hat er alle vier Grand Slams am Stück gewonnen. Er hat das ohne Glück geschafft. Das ist Weltklasse."

Djokovic hat sechs der letzten acht Grand-Slam-Turniere gewonnen, 2016 erst drei Mal verloren (44 Erfolge) - und in dieser Saison 17 von 18 Duellen gegen Top-Zehn-Konkurrenten für sich entschieden.

Sein Trainer Boris Becker ist ein wichtiger Bestandteil des Gesamtgebildes. Nicht zuletzt mit Blick auf den Triumph an der Seine. Nach Djokovics bitterer Final-Niederlage bei den French Open 2015 gegen den Schweizer Stan Wawrinka organisierte Becker für das Training in Wimbledon ein paar Wochen später einen besonderen Sparrings-Partner: Wawrinka. "Um Dinge zu überwinden, muss man sich ihnen stellen. Du kannst nicht vor ihnen davonlaufen", erklärte Becker den Psycho-Trick. Nun überwand Djokovic sein Paris-Trauma - und es fühlt sich an, als sei es erst der Startschuss zu einer noch größeren Überlegenheit.

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