16 950 Kilometer zwischen Glück und Druck

Paris · Angelique Kerber steht bei den an diesem Sonntag beginnenden French Open unter Druck. Paris ist für die Australian-Open-Siegerin die erste große Bewährungsprobe seit ihrer Sternstunde im Januar.

 Angelique Kerber weiß, dass sie bei den French Open in Paris sehr viel stärker unter Beobachtung steht. Foto: moya/dpa

Angelique Kerber weiß, dass sie bei den French Open in Paris sehr viel stärker unter Beobachtung steht. Foto: moya/dpa

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16 950 Kilometer - wenn Angelique Kerber in diesen Tagen im Stade Roland Garros von Paris unterwegs ist, sieht sie es schwarz auf weiß. Auf einem nach Süd-Osten ausgerichteten Pfeil steht die Distanz nach Melbourne geschrieben. So weit weg - aber für Kerber vor Beginn der French Open doch so nah und präsent. Rund dreieinhalb Monate nach ihrer Sternstunde spürt die 28-Jährige vor ihrer ersten ganz großen Bewährungsprobe als Australian-Open-Siegerin ständig die gewachsene Erwartungshaltung. Vor allen Dingen die der anderen. Aber auch die eigene.

Es sind die Geister, die sie durch ihren ersten Grand-Slam-Coup Ende Januar rief. "Ker-Boom" und so. "Von so einer Situation träumst du doch eigentlich dein Leben lang. Das Gefühl von Melbourne hat sich in mein Herz eingebrannt", sagt Kerber. Wohlwissend, dass die Medaille auch eine Kehrseite hat: "Jede Gegnerin will dich jetzt erst recht schlagen." Aber der Triumph von Australien habe sie "selbstbewusster und auch ruhiger" gemacht.

Das merkt man. Kerber hat eine andere Aura, wirkt gereift. Was nicht heißt, dass sie komplett aus ihrem Korsett ausbricht, das ihr immer noch Halt gibt. Konkrete Ziele für ihr erstes Major-Turnier nach dem Aufstieg zum "Weltstar", wie es das Magazin "Stern" formulierte, nennt die Weltranglistendritte nicht. "Ich möchte nicht ergebnisorientiert denken. Weil ich weiß: Das kann nur schief gehen", sagt Kerber.

Überbordendes Selbstvertrauen - das wird bei einem selbstkritischen Charakter, wie sie einer ist, niemals zu finden sein. Gänzlich im Gleichgewicht befindet sich Kerber nach ihrem Geniestreich in der Rod-Laver-Arena Ende Januar gegen Branchenführerin Serena Williams noch nicht wieder. Dem Turniersieg in Stuttgart, den Halbfinal-Teilnahmen in Miami und Charleston sowie starken Leistungen im Fed Cup stehen die Auftaktpleiten in Doha, Indian Wells, Madrid und Rom gegenüber. Die vielen Termine außerhalb des Courts, die mediale Aufmerksamkeit hatte sich die unermüdliche Kämpferin verdient: "Ich habe das genossen. Aber natürlich hat es auch Kraft gekostet, weil es neu für mich war", sagt Kerber.

Roger Federer jedenfalls hat Verständnis dafür, dass ihre Leistungen derzeit wechselhaft sind. "Es ist überhaupt nicht schlimm, dass Angie nicht einfach weitersiegt", sagt der Grand-Slam-Rekordsieger und lobt: "Ich halte sehr viel von ihr." Auch für die Diplom-Psychologin Eva Pfaff kommen die durchwachsenen Ergebnisse nicht überraschend. "Diese Aufgabe, sich nach so einem Erfolg neu zu orientieren, sich neu zu erfinden, braucht Zeit. Mit dem gewohnten Alltag von einst hat das nichts mehr zu tun", sagt die ehemalige Weltranglisten-17.

Ihre Teilnahme am Nürnberger WTA-Turnier in dieser Woche hatte Kerber wegen einer Schulterverletzung abgesagt. Es blieb Zeit, den Akku aufzuladen. Denn auch in Paris wird die deutsche Nummer eins im Fokus stehen. Eine Ehre, aber auch Stress für Kerber. Die Distanz zwischen Glück und Bewährungsdruck, sie beträgt ab dem kommenden Sonntag 16 950 Kilometer.

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