Der „nette Krankenpfleger“

New York · Erst der Sprung auf Platz eins, dann der Titel bei den US Open. Für Angelique Kerber sind in New York „alle Träume wahr geworden“. Großen Anteil hat daran ein Mann, den sie erst vor 18 Monaten wieder ins Team holte.

Angelique Kerber schlug sich immer wieder ungläubig die Hände vor das Gesicht und wischte sich die Tränen aus den Augen. Dann setzte die neue Nummer eins der Tennis-Welt und frisch gekrönte US-Open-Siegerin zum letzten Sprint an, kletterte in ihre Box und fiel Trainer Torben Beltz und Mama Beata um den Hals.

"All meine Träume sind in diesem Jahr wahr geworden", sagte Kerber, als sie am Samstag um 18.41 Uhr Ortszeit in New York die silberne Henkeltrophäe in die Höhe reckte. Die neue Weltranglisten-Erste entschied das Endspiel gegen die Tschechin Karolina Pliskova mit 6:3, 4:6, 6:4 für sich. "Es ist einfach großartig, unglaublich, das beste Jahr meiner Karriere", sagte Kerber.

Nach 2:07 Stunden hatte die 28 Jahre alte Kielerin ihren ersten Matchball verwandelt und feierte nach den Australian Open Anfang des Jahres den zweiten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere.

Zu verdanken hat sie das vor allem auch ihrem Trainer. Es ist etwas mehr als 18 Monate her, da wusste Kerber weder ein noch aus. Die Kielerin hatte soeben in Doha gegen Victoria Asarenka mit 0:6, 3:6 eine Abfuhr erhalten und wirkte nach der nächsten frühen Pleite wie ein Häufchen Elend. In ihrer Not erinnerte sich Kerber an den Trainer, der sie zuvor in die Top Ten geführt hatte: Torben Beltz. "Keiner kennt mich besser als er", sagt Kerber über den Mann aus dem hohen Norden, der auch in New York wieder sein spezielles Ritual verfolgt. Beltz rasiert sich so lange nicht, bis Kerber ein Spiel verloren hat. Was in diesen Tagen erneut für einigen Wildwuchs im Gesicht des Trainers sorgt.

Frohnatur trifft Dickschädel

Dieses Ritual ist nur eines von etlichen. Nach dem Australian-Open-Sieg im Januar musste Kerber in einen Fluss springen, Beltz musste nach einem Titelgewinn trotz Höhenangst Achterbahn fahren. Gestern durfte sich der 39-Jährige noch einmal rasieren, doch dann muss er sich bis zur WTA-WM einen Schnauzbart stehen lassen.

Die neue Weltranglistenerste weiß, was sie an dem Norddeutschen mit der Aura eines "netten Krankenpflegers", wie einst der Stern schrieb, hat. "Torben weiß genau, wie ich ticke. Wir kennen uns schon so lange, er kann auch mit meinen Emotionen umgehen", meinte Kerber. Wohlwissend, dass sie manchmal ein ganz schöner Dickschädel sein kann: "Ich bin nicht immer einfach. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, will ich es auch so durchziehen."

Frohnatur Beltz kann gut damit leben. Mit seiner lockeren und ausgleichenden Art hält er seine Chefin auch in schwierigen Momenten meist bei Laune. Egal, ob beim Training oder aus der Box am Spielfeldrand heraus. "Angie ist ein guter und angenehmer Typ. Sie will hart arbeiten", meinte Beltz. Außerhalb des Courts spielt er mit Kerber gerne Backgammon. Legendär sind die Wetten des Duos um Fallschirmsprünge.

Die beiden verstehen sich blind, die große Vertrauensbasis ist spürbar. Kein Wunder, denn bereits als Juniorin hatte der ehemalige Verbandstrainer aus Schleswig-Holstein Kerber auf der Profitour begleitet. "Sie war ein Ausnahmetalent, ich war schon damals beeindruckt von ihrem Spiel", erzählt Beltz.

Vor dieser Saison hatten sie sich zusammengesetzt und ihre Ziele festgelegt. Es sollte 2016 bei den großen Turnieren endlich "krachen", wie es Kerber formulierte. In Melbourne hat es gewaltig gekracht, danach auch in Wimbledon, wo sie im Finale gegen Branchenführerin Serena Williams unterlag, aber wieder viel Anerkennung und Sympathien gewann. Das spürt auch Beltz, der immer öfter mit Rauschebart herumläuft.

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