Rosberg macht Mercedes ratlos

Köln · Nico Rosberg wirkte nach seinem Rücktritt erleichtert wie nie – es war ein emotionales Wochenende für den Weltmeister. Begleitet wurde es von Spekulationen um seine Nachfolge und von sehr kritischen Tönen aus dem Mercedes-Lager.

 Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg mit seiner Frau Vivian bei der Fia-Gala in Wien, wo er seinen WM-Pokal abholte. In Zukunft möchte Rosberg mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Foto: dpa

Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg mit seiner Frau Vivian bei der Fia-Gala in Wien, wo er seinen WM-Pokal abholte. In Zukunft möchte Rosberg mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Foto: dpa

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In den Stunden nach dem großen Knall kam Nico Rosberg nicht zur Ruhe. In der Wiener Hofburg nahm er am Freitagabend seinen WM-Pokal entgegen, schlenderte im Smoking über den roten Teppich. Keine 24 Stunden später verabschiedete sich der Weltmeister in Sindelfingen von 17 000 Mercedes-Mitarbeitern - und stieg am Samstag um 16.41 Uhr nach einer Demo-Fahrt zum letzten Mal aus seinem Silberpfeil. Ein symbolträchtiger Moment.

Sein völlig überraschender Rücktritt aus der Formel 1 sei ein endgültiger Entschluss, beteuerte Rosberg noch einmal. "Ein Zurück wird es nicht geben." Für Rosberg soll nun die Familie an erster Stelle stehen, Ehefrau Vivian und die einjähriger Tochter Alaia. Die Formel 1 ? "Ich brauche das nicht mehr", sagt der 31-Jährige und wirkt gelöst und erleichtert.

Wirklich niemand hatte mit diesem Schritt gerechnet, nicht bei Mercedes und nicht bei der internationalen Presse. "Eine der überraschendsten Ankündigungen der Sportgeschichte ", fand etwa der englische Telegraph die Nachricht. Bei Mercedes sieht das nicht anders aus. Längst sind beim Team aber auch kritische Töne zu Rosbergs "einsamer Entscheidung" zu hören.

Mancher fühlt sich im Stich gelassen. Motorsportchef Toto Wolff erklärt derzeit immer wieder die Schwierigkeit, nun in kurzer Zeit einen adäquaten Ersatz zu finden, betont aber auch seinen Respekt vor Rosbergs Courage. Von Niki Lauda kommt dagegen ein wahres Sperrfeuer kritischer Töne. Der Österreicher verspürt keine große Lust, seine Enttäuschung zu verbergen. "Er hat uns gar keine Anzeichen dafür gegeben", sagt der Aufsichtsratschef des Werksteams. "Nico hätte uns ja vorwarnen können, aber das hat er nicht getan." Keine vier Monate vor einer Saison mit grundlegend neuem Reglement stehe das Weltmeister-Team "voll im Regen, ebenso wie unsere 1200 Mitarbeiter", sagt der Österreicher. Mercedes habe nun ein Riesen-Problem: "Das Thema Fahrerstabilität - ein Doppelweltmeister und ein Weltmeister , die beste Fahrerpaarung der Formel 1 - ist weg. Wir haben ein neues Auto, bei dem wir jetzt noch nicht wissen, wohin die Reise geht, und dazu jetzt noch eine Riesen-Unsicherheit bei den Fahrern. Kurzum: Wir befinden uns in dem für mich schlechtesten möglichen Zustand."

Heute wollen Wolff und Lauda in Klausur gehen und sich über die Strategie abstimmen. Ein Ersatz soll bis Weihnachten gefunden sein. Mercedes-Vertragsfahrer Pascal Wehrlein, 22 Jahre alt und vergangene Saison als Neuling bei Manor unterwegs, wäre eine einfache, aber nicht risikofreie Lösung. Hat er wirklich das Zeug, neben Hamilton zu bestehen? Auch große Namen wie Fernando Alonso und Jenson Button werden gehandelt. Beide sind vertraglich an McLaren-Honda gebunden, Button ist jedoch 2017 nur Test- und Ersatzfahrer. "Wir haben eine Vielzahl von Optionen", versichert Wolff. Als aussichtsreicher Kandidat gilt Valtteri Bottas. Der Finne ist derzeit für das Mercedes-Kundenteam Williams unterwegs, gilt als Top-Fahrer und kennt Wolff bestens. Der Österreicher war lange Teilhaber bei Williams und im Management von Bottas tätig. Nur drei Piloten schließt Wolff kategorisch aus. "Es gibt ein paar Kandidaten, die klar nicht verfügbar sind", sagt er: "Max Verstappen und Daniel Ricciardo von Red Bull, Sebastian Vettel von Ferrari . Alle anderen müssen wir analysieren." Red-Bull-Teamchef Christian Horner hatte zuvor schon eine SMS geschickt: "Finger weg von meinen Jungs."

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Hintergrund Pressestimmen zum Rücktritt von Nico Rosberg : Times (England): "Der enorme Druck im Duell mit Lewis Hamilton hat Weltmeister Nico Rosberg zu seiner schockierenden Entscheidung bewegt, der Formel 1 und einem Millionenvertrag mit Mercedes den Rücken zu kehren." Guardian (England): "Rosbergs Entscheidung ist brillant. Womöglich möchte er seinen Titel nicht unter dem kritischen Blick derer verteidigen, die glauben, sein Erfolg beruhe einzig auf ein paar Motorschäden an Hamiltons Auto." El Mundo Deportivo (Spanien): "Es geht ein Gentleman." Gazzetta dello Sport (Italien): "Es braucht Mut, um sich zurückzuziehen, wenn man auf der Spitze des Everest steht und auf die Welt herabblicken kann. Rosberg hätte noch reicher werden können, er will innerlich reicher sein." Corriere della Sera (Italien): "Rosberg setzt auf ein neues Leben mit einem großen Bankkonto, seinem Talent für Sprachen und seiner Leidenschaft für Finanzen und Mode." Neue Zürcher Zeitung (Schweiz): "Ein Mann im besten Rennfahrer-Alter und im bestmöglichen Auto sagt Adé. Ist das mutig? Feige? Ist das charakterstark, oder lässt er damit alle im Stich? In jedem Fall ist es eine Entscheidung, die Respekt abnötigt. Und die etwas erzählt über den ungeheuren Druck, dem Formel-1-Fahrer ausgesetzt sind." sid

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