Der Trainer als Hoffnungsträger

Hamburg · Dagur Sigurdsson ist der große Hoffnungsträger der deutschen Handballer. Mit der Abreise zur Europameisterschaft in Polen startete er gestern seine bislang kniffligste Mission. Morgen geht es los gegen Spanien.

Dagur Sigurdsson jammert nicht. "Ich sehe keinen Grund, warum wir eine schlechte EM spielen sollten", sagt der Bundestrainer. Lamentieren gehört nicht zu seinem Repertoire, die Personalsorgen lassen ihn kalt. "Wir sind alle zuversichtlich, was Polen betrifft", sagt Sigurdsson, der zum großen Hoffnungsträger der Handballer aufgestiegen ist.

Mit isländischer Akribie und einem ordentlichen Schuss Gelassenheit führte Sigurdsson, der gestern Kai Häfner und Julius Kühn aus dem Aufgebot gestrichen hat, das deutsche Team in den letzten anderthalb Jahren wieder in die Spur. Doch nun steht er bei der EM in Polen vor seiner bislang kniffligsten Mission. Vor einem Millionenpublikum bei ARD und ZDF will das deutsche Team den Aufwärtstrend nach Platz sieben bei der WM vor Jahresfrist in Katar bestätigen.

Der Druck ist da, das spürt Sigurdsson. Trotz vier verletzter Stammkräfte, darunter Stars wie Kapitän Uwe Gensheimer und Youngster Paul Drux, ist die Erwartungshaltung groß. Dabei wäre das Erreichen der Hauptrunde angesichts der starken Vorrundengruppe C schon ein kleiner Erfolg. Mit dem Auftaktspiel morgen gegen den Mitfavoriten Spanien (18.30 Uhr/ZDF ), der Partie gegen Rekord-Europameister Schweden (Montag, 20.30 Uhr/ARD ) und gegen Slowenien (Mittwoch, 17.15 Uhr/ZDF ) warten richtig dicke Brocken.

Größter Trumpf dürfte der Teamgeist werden. Sigurdsson gelang es, in der neu formierten Auswahl im Eiltempo ein Klima des Vertrauens entstehen zu lassen. Untereinander - und in die eigene Stärke. "Dagur vertraut uns, und deswegen glauben wir an uns", sagt Rückraumspieler Steffen Fäth, einer der Senkrechtstarter unter Sigurdsson. Auch Torjäger Christian Dissinger, der seinen Vertrag beim THW Kiel gestern vorzeitig bis 2020 verlängerte, macht das "Vertrauen des Trainers" als maßgebliche Ursache des positiven Trends aus.

Sigurdsson ist der komplette Gegenentwurf zu seinen Vorgängern, strahlt an der Seitenlinie Ruhe aus, wirkt distanzierter und ein Stück weit professioneller. Seine unaufgeregte Art kommt an. "Man sieht, dass er sehr genau und sehr präzise arbeitet. Er gibt uns eine gewisse Ruhe, auch in brenzligen Situationen", sagt Neu-Kapitän Steffen Weinhold.

Dass Sigurdsson auch anders kann, bewies er bei der Kader-Nominierung im Dezember. Völlig überraschend rasierte er die bisherige Nummer eins Silvio Heinevetter , immerhin sechs Jahre sein Vereins-Torwart bei den Füchsen Berlin und prominentestes Gesicht des deutschen Teams. "Keiner ist größer als die Mannschaft", sagt Sigurdsson: "Manchmal trifft das Leute, die gute Freunde sind und lange bei mir im Team waren." Im Verband genießt Sigurdsson die volle Rückendeckung. Vizepräsident Bob Hanning stellte ihm ein hervorragendes Zeugnis aus und gab ihm eine "glatte Eins" - schon vor dem EM-Start. Michael Biegler ist "komplett im Tunnel". Für die historische Chance auf ein Wintermärchen mit der polnischen Nationalmannschaft blendet der Rheinländer selbst die existenzielle Krise bei seinem Club HSV Hamburg aus. "Ich bin zurzeit voll und ganz in Weiß und Rot getaucht. Und da interessiert es mich nicht, was in Hamburg passiert", sagt Biegler. Während in der Heimat heute über die Zukunft des HSV entschieden wird, konzentriert sich der deutsche Trainer ganz auf sein EM-Projekt: den ersten großen Titel für eine polnische Handballmannschaft.

"Es wird eine unvergessliche EM werden. Und Polen wird ganz sicher ein überragender Gastgeber sein", sagt Biegler voller Vorfreude. Auch für den 54-Jährigen dürften die Spiele vor über 15 000 enthusiastischen Fans in der Tauron-Arena von Krakau besondere Höhepunkte darstellen. "Das wird die Spieler beflügeln und zu Höchstleistungen anspornen", glaubt Biegler mit Blick auf das Auftaktspiel heute (20.30 Uhr/live bei Sportdeutschland.tv) gegen Serbien.

Seit seinem Amtsantritt im Herbst 2012 ging es mit der "Representazia Polska" sukzessive bergauf. Nach der überraschenden Bronzemedaille bei der WM vor Jahresfrist in Katar ist die Erwartungshaltung riesig. Die ganze Nation träumt vom Titel und hofft auf einen ähnlichen Coup, wie ihn Deutschland bei der WM im eigenen Land 2007 landete. Der frühere Nationalspieler Stefan Kretzschmar , der beim VfL Gummersbach unter Biegler spielte, ist jedenfalls überzeugt: "Wenn die Polen mit ihm keine Medaille gewinnen, dann werden sie es nie tun."

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