Schweinsteiger ist der neue Kapitän

Düsseldorf · Mit Bastian Schweinsteiger als neuem Kapitän geht die deutsche Nationalmannschaft heute in das Testspiel gegen Argentinien (20.45 Uhr/ZDF). Seit dem WM-Finale von Rio ist der 30-Jährige ein echter deutscher Fußballheld.

Bastian Schweinsteiger als Kapitän, der einstige Abwehrspieler Thomas Schneider als Assistent: Mit zwei alten Vertrauten will Joachim Löw nach dem WM-Erfolg auch den vierten EM-Titel nach Deutschland holen. 51 Tage nach dem WM-Triumph verkündete der Bundestrainer gestern seine Entscheidung für die neu zu besetzenden Schlüsselpositionen und formulierte gleich die erste Kampfansage: "Es gab bei und nach der WM magische Momente, Momente für die Ewigkeit. Es war wie im Rausch", sagte der 54-Jährige: "Aber das nächste große Ziel muss heißen: EM-Finale 2016 in Paris. Wir sind jetzt mehr die Gejagten, aber wir wollen auch weiter jagen. Und ich habe gespürt, dass der Erfolg in Rio die Spieler noch hungriger gemacht hat. Sie wollen dieses Gefühl unbedingt noch einmal erleben."

Ein Revival wird es heute (20.45 Uhr/ZDF ) geben, wenn Finalgegner Argentinien in Düsseldorf der Rivale sein wird. Wobei bei den Argentiniern Lionel Messi (Überlastung im rechten Adduktorenmuskel) fehlen wird. Ebenso wie Schweinsteiger, der sich im Finale im Maracana von Rio aufopferte und damit endgültig zum deutschen Fußball-Helden aufgestiegen ist. Es war das Empfehlungsschreiben auf die Nachfolge von Kapitän Philipp Lahm , der kurz darauf seinen Rücktritt verkündete.

Die Entscheidung sei für ihn klar gewesen, betonte Löw: "Bastian ist der legitime Nachfolger. Wenn es darauf ankam, hat er immer große Verantwortung übernommen. Schauen Sie sich nur das Bild vom Finale an, was er da geleistet hat." In den Medien war Schweinsteiger danach als "Kampfsau" (Huffington Post), "Leitwolf" (Rheinische Post), "Blutkrieger" (Die Welt), "deutscher Gladiator" (FAZ) oder "Held der Leiden" (Sport Bild) bezeichnet worden. "Ich habe gespürt, dass er weiter vor Ehrgeiz nur so sprüht", berichtete Löw gestern über ein Treffen mit seinem neuen Kapitän in München. "Er genießt eine hohe Akzeptanz innerhalb der Mannschaft, ist ein guter Kommunikator."

Schweinsteiger, den Löw zunächst nur bis 2016 zum Kapitän ernannte, wird den Weltmeister heute verletzungsbedingt nicht aufs Feld führen. Als Ersatzkapitän fungiert heute Torwart Manuel Neuer . Der 30-jährige Schweinsteiger selbst sagte: "Es ist eine Ehre und Freude, aber zugleich eine Verpflichtung."

Insgesamt fehlen heute neun Weltmeister. Neben den drei Zurückgetretenen (Philipp Lahm , Per Mertesacker und Miroslav Klose ) und Schweinsteiger müssen auch Sami Khedira , Jerome Boateng, Mats Hummels , Mesut Özil und Shkodran Mustafi passen. Am Sonntag im ersten EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland sollen zumindest Boateng, Hummels und Özil wieder dabei sein. Nur Khedira, bei dem gestern ein Muskelbündelriss im linken Oberschenkel diagnostiziert wurde, wird länger fehlen. Im Stadion werden sie heute aber alle sein, alle 23 Weltmeister von Rio. Miroslav Klose wird es "mulmig sein". Philipp Lahm ist gespannt auf die "neue Situation". Per Mertesacker geht "mit einem Grinsen". Wenn sich die drei Weltmeister heute vor dem Spiel gegen Argentinien aus der Nationalelf verabschieden, werden unterschiedliche Emotionen im Spiel sein.

Fakt ist: Mit dem Trio geht ein großes Stück Länderspiel-Geschichte. Alle haben die Nationalmannschaft mindestens ein Jahrzehnt geprägt und gehören dem Kreis der Spieler mit mindestens 100 Einsätzen an. Klose (137 Spiele) ist Zweiter der Bestenliste, Lahm (112) Vierter, Mertesacker (104) liegt auf Platz acht.

Am längsten dabei war Klose, der sein Debüt 2001 gab. Für kaum jemanden schien die Nationalelf solch eine Herzenssache zu sein. Während Lahm mit 30 Jahren und Mertesacker mit 29 relativ jung abtreten, tat sich der Nationalmannschafts-Rekordtorschütze (71 Treffer) selbst mit 36 schwer, sich zum Rücktritt durchzuringen. "Ein bisschen mulmig ist mir schon bei der Vorstellung, nur noch von der Tribüne aus zuzuschauen. Das Loslassen fällt mir nicht leicht", sagte Klose: "Eigentlich wollte ich so lange spielen, bis mein Körper die Belastung nicht mehr aushält. Nach dem Sieg in Brasilien wurde mir klar, dass es besser ist, zu gehen, bevor die Physis nachlässt und mir die Jungs wegrennen." Die Unterstützung der Fans habe ihm immer sehr geholfen. "Für mich war die Zuneigung der Fans immer ein wichtiger Halt. Eigentlich sind wir Fußballer ja dafür da, die Zuschauer zu begeistern. Bei mir war das immer eine Wechselwirkung, vielleicht habe ich auch deshalb so befreit spielen können."

Lahm hat am längsten im Voraus entschieden, dass er nach der WM zurücktreten wird. Nun weiß er nicht so recht, was ihn erwarten wird. "Es ist eine neue Situation für mich", sagte Lahm, der seit dem WM-Triumph in einer Ahnenfolge mit Fritz Walter , Franz Beckenbauer und Lothar Matthäus als Kapitän einer Weltmeister-Mannschaft steht: "Von zu Hause habe ich Länderspiele schon mal angeschaut, ich habe ja nicht jedes gemacht - aber es wird das erste seit langer Zeit sein, das ich im Stadion sehe - bestimmt seit ein paar Jahren."

Mertesacker wurde gefragt, ob er mit einem Lächeln gehe. "Sogar mit einem breiten Grinsen. Ich kann gut damit abschließen. Es lässt sich meinen Kindern schön erzählen." Er habe erfolgreich aufhören wollen. "Nach zehn herrlichen Jahren, fünf Turnieren und einem wunderschönen Sommer" sei der beste Zeitpunkt dafür. "Mein Vater hat gesagt: Ein Spiel mehr als Beckenbauer, jetzt kannst Du aufhören", sagte Mertesacker zur bei der WM durchbrochenen Schallmauer. Er ergänzte, er fühle sich "nun aber nicht mit Franz Beckenbauer auf einen Level". Nachdem ein Zeckenbiss seine Karriere beendet hatte, wollte Thomas Schneider von Fußball nichts mehr wissen. Der damals 33-Jährige zog sich zurück. Weil die Borreliose vier Jahre lang unentdeckt blieb, musste er eine lange Antiobiotika-Therapie machen. Es dauerte lange, bis er überhaupt wieder joggen durfte. Für einen Leistungssportler eine schlimme Zeit. Dann klingelte eine Nachbarin an der Tür. "Ihr Sohn spielte in Dingolfing in der Bayernliga, eine Klasse unter der A-Junioren-Bundesliga. Sie meinte, sie bräuchten dringend einen Trainer", erzählt Schneider: "Ich sagte, ich schau mir mal ein Spiel an. Das Niveau hat mich überzeugt, ich beschloss, dass das ein guter Einstieg für mich sein könnte." So begann 2007 seine Trainer-Karriere.

Der Ex-Abwehrspieler war wieder Feuer und Flamme für Fußball. Er hospitierte bei Sporting Lissabon und unter Ralf Rangnick bei 1899 Hoffenheim, wechselte zurück zu seinem langjährigen Club VfB Stuttgart , wurde mit der U 17 im ersten Jahr Vize- und im zweiten Meister. Im August 2013 machte der VfB ihn zum Trainer der Bundesliga-Elf. 195 Tage später wurde er entlassen.

Wieder suchte Schneider Abstand vom Fußball. Bis sein Ex-Trainer bei ihm klingelte. 1997 hatte Joachim Löw bei seiner ersten Trainer-Station in Stuttgart mit Schneider den DFB-Pokal geholt, nun wollte der Bundestrainer den 41-Jährigen als Assistenten und Nachfolger von Hansi Flick.

Ob die Nachbarin in Straubing von Löw oder Schneider einen Blumenstrauß bekommen wird, ist nicht bekannt. Doch ohne sie hätte es den Co-Trainer Schneider bei der Nationalelf wohl nicht gegeben. Hart im Nehmen ist Bastian Schweinsteiger schon mal, das hat er im WM-Finale gegen Argentinen gezeigt. Nachdem mit Miroslav Klose , Philipp Lahm und Per Mertesacker drei Mitglieder des Hunderter-Clubs nach dem Titel zurückgetreten sind, ist "Schweini" mit 108 Länderspielen mit der Erfahrenste im Team. In Sachen Führungsqualitäten ist der Mittelfeldspieler die logische Wahl. Freilich: Auch mit Manuel Neuer , Mats Hummels und Sami Khedira als Kapitän wäre Fußball-Deutschland sehr gut aufgestellt gewesen.

Dass beim Co-Trainer-Posten die Wahl auf den nicht so bekannten Thomas Schneider fiel, ist typisch Löw. In der Bundesliga hatte Schneider beim VfB Stuttgart wenig Erfolg. Dass das aber kein Ausschlusskriterium sein muss, bewiesen nämlich gerade auch die vor ihrer DFB-Karriere eher nicht so erfolgreichen Jogi Löw und Hansi Flick.

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