Mega-WM oder Geisterspiele?

Doha · Die Weltmeisterschaft in Katar soll laut Veranstalter die „beste WM aller Zeiten“ werden. Doch wenn die Handball-Stars in den protzigen Arenen ab heute um die Medaillen spielen, drohen die Ränge leer zu bleiben.

 Wie eine Fata Morgana: Die Lusail-Arena bietet mehr als 15 000 Zuschauern Platz. Sie wurde nördlich von Doha in die Wüste gepflanzt. Foto:ROBERT GHEMENT /dpa

Wie eine Fata Morgana: Die Lusail-Arena bietet mehr als 15 000 Zuschauern Platz. Sie wurde nördlich von Doha in die Wüste gepflanzt. Foto:ROBERT GHEMENT /dpa

Perfekte Bedingungen für Spieler und Fans, drei protzige neue Hallen und US-Popstar Beyoncé zur Eröffnung: Die Weltmeisterschaft in Katar stellt alles in den Schatten, was der Handball bislang gesehen hat. Mit einem Rekord-Budget von mehr als 200 Millionen Euro überließen die Scheichs nichts dem Zufall - und kauften sich sogar eine wettbewerbsfähige Mannschaft zusammen.

"Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir haben, was Arenen und Organisation betrifft, alle Zielvorgaben der IHF erreicht. Ich freue mich auf eine tolle WM", sagte Ahmed Al-Shaabi, Präsident des katarischen Handballverbandes, vor dem Eröffnungsspiel der Katarer gegen Brasilien (heute, 18.30 Uhr/Sky). Nie waren die Bedingungen für die 24 Teams besser, nie waren die Ausgaben höher: Das Turnier im Wüstenstaat wird in vielfacher Hinsicht ein Turnier der Superlative.

17 weitere WM's in Katar

Als der Zeitplan für den Bau der drei Luxus-Arenen aus den Fugen zu geraten schien, ließen die Macher kurzerhand ein paar Tausend zusätzliche Arbeiter einfliegen. Bei der pompösen Eröffnungsfeier, für die die Scheichs heute das größte Feuerwerk in der Geschichte des Emirats angekündigt haben, soll angeblich sogar Popstar Beyoncé auftreten. Die neue Sport-Großmacht will sich empfehlen - schließlich richtet Katar in den kommenden Jahren 17 weitere Weltmeisterschaften in Olympischen Sportarten und nicht zuletzt die Fußball-WM 2022 aus.

Ihre Kritiker brachten die Ausrichter mit all dem Prunk und Protz aber nicht zum Verstummen - im Gegenteil. "Wir befürchten, dass wegen der Weltmeisterschaften noch mehr Arbeitsmigranten unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen", sagt etwa Regina Spöttl, Expertin bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International für die Golfstaaten.

In der Chef-Etage des Deutschen Handball-Bundes (DHB) hat man sich im Vorfeld des Turniers intensiv mit der Situation in Katar beschäftigt. Ein WM-Verzicht kam aber nicht infrage. "Ich glaube, dass ein Boykott oder Verzicht die falsche Antwort ist", sagte Verbandschef Bernhard Bauer. Es gebe schließlich nichts Verbindenderes als Sportveranstaltungen, Spiele und Wettkämpfe: "Unsere Spieler werden das Land wahrnehmen. Und auf Funktionärsebene werden wir auch Kataris ansprechen und fragen: Warum habt ihr diese Konstellationen wie etwa bei den Rechten der Frauen oder bei den Rechten der Arbeitnehmer? So etwas öffnet und bringt Verständnis füreinander."

Der Erfolg des Mega-Events im Golfstaat hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Einheimischen das Turnier annehmen. Vor dem ersten Anwurf weiß keiner so recht, ob das Versprechen von der "besten WM aller Zeiten" und ausverkauften Hallen wirklich eingelöst wird. "So eine Situation ist nicht ganz neu. Wir hatten es 1999 bei der WM in Ägypten, dass in eine 20 000-Mann-Arena viele Soldaten reingeholt worden sind", sagte der frühere Weltmeister-Trainer und heutige DHB-Manager Heiner Brand . 1997 in Japan hätten viele Kinder die Tribünen gefüllt. So etwas sei nicht zu vergleichen mit der Atmosphäre bei der WM 2007 in Deutschland, wo eine ideale Atmosphäre geherrscht habe. "Davon gehe ich diesmal nicht aus. Aber ich hoffe, dass die Stimmung einigermaßen gut sein wird", sagte Brand. Das Eröffnungsspiel wird einen Fingerzeig geben. In der Lusail-Arena, die mitten in der Wüste wie eine Fata Morgana daherkommt, finden mehr als 15 000 Zuschauer Platz.Premiere für Sky: Erstmals ist eine Handball- WM nur im Bezahlfernsehen zu verfolgen. Was für Anhänger ohne Abonnement ein Problem ist, war für den Sender ein Glücksfall und ein Kraftakt zugleich. Unter höchstem Zeitdruck musste die Sky-Redaktion die Berichterstattung aus Katar vorbereiten.

17 Tage vor dem ersten Match hatte Sky die Rechte für die Handball-WM gekauft. "Aufgrund des späten Zeitpunktes war es nicht einfach, ausreichend Satelliten-Zeiten zu bekommen", berichtet Sky-Direktor Dirk Grosse. Doch trotz einiger Probleme ist der Sender zum Eröffnungsspiel pünktlich fertig geworden und startet heute um 18.15 Uhr mit der Partie Katar gegen Brasilien .

Zuvor waren ARD und ZDF wegen nicht zu erfüllender Forderungen im Dezember aus den Verhandlungen ausgestiegen. Dabei ging es weniger um das Geld als um technische Probleme. Als Knackpunkt erwiesen sich die Verbreitungswege. Weil die ARD /ZDF-Programme auch über Satelliten ausgestrahlt werden, die außerhalb Deutschlands zu empfangen sind, scheiterte ein Vertrag mit dem Rechteinhaber beIN Sports.

Das Tochter-Unternehmen des katarischen TV-Imperiums Al-Jazeera hatte vom Weltverband IHF die weltweiten TV-Rechte für rund 80 Millionen Euro erworben und verkaufte sie über die Agentur Pitch weiter. Die führte Gespräche mit anderen deutschen TV-Sendern und einigte sich letztlich mit Sky. Der Sender, der auch die Champions-League im Handball überträgt, zeigt alle Spiele der deutschen Mannschaft. Die wichtigsten der 88-WM-Spiele können nur Sky-Kunden oder Besucher der Kneipen mit Lizenz sehen. 50 Partien spielt der Sender kostenfrei im Internet ab, allerdings ohne deutsche Kommentierung.

Mit gemischten Gefühlen schaut der Deutsche Handball-Bund auf die Pay-TV-Übertragungen. "Angefreundet habe ich mich damit nicht", sagte Präsident Bernhard Bauer: "Ich bin enttäuscht, dass es nicht gelungen ist, den Handball aufgrund seiner Breite und Attraktivität im frei empfangbaren Fernsehen zu zeigen." Anderseits war Bauer aber auch erleichtert: "Am Ende müssen wir froh sein, dass der Bildschirm nicht schwarz bleibt." Er sei "froh und auch dankbar dafür, dass wir überhaupt Liveübertragungen im Fernsehen haben."

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HintergrundDie Vorrunde der Handball-WM wird in vier Sechsergruppen gespielt. Die jeweils besten vier Teams der Gruppen qualifizieren sich für das Achtelfinale und ermitteln im K.o-System den neuen Weltmeister. Die Verlierer der Viertelfinals spielen die Plätze fünf bis acht aus, da die Mannschaften, die auf den Plätzen zwei bis sieben landen, sich für die drei Olympia-Qualifikationsturniere im Frühjahr 2016 qualifizieren. Der Weltmeister hat direkt das Ticket für Olympia 2016 in Rio sicher. sid

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