Der schmale Grat

Budapest · Fast nirgendwo welken die Lorbeeren so schnell wie beim Übergang vom Junioren- zum Profifußball – deshalb darf der Einzug der U19 ins EM-Endspiel für die Jungstars nur als Ansporn begriffen werden.

Erinnert sich noch jemand an Janis Crone? Dieser hünenhafte Blondschopf aus Berlin, der einst in der U19-Nationalmannschaft rechtschaffen verteidigte. Oder an Benjamin Wingerter? Der in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen beim FC Schalke 04 ausgebildete Mittelfeldspieler, der nicht nur im Dress deutscher Juniorenteams einen guten Eindruck hinterließ. Oder an Ioannis Masmanidis? Den quirligen Techniker aus Leverkusen , der seit dem sechsten Lebensjahr unter dem Bayer-Kreuz gefördert wurde. Fast auf den Tag genau zwölf Jahre ist es her, dass dieses Trio mit der deutschen U19-Nationalmannschaft ein EM-Finale gegen Spanien mit 0:1 verlor. Torschütze für Spanien damals Fernando Torres. Eingewechselt für Deutschland übrigens Philipp Lahm .

Letzterer hat bekanntlich eine Weltkarriere hingelegt, die anderen drei Kameraden eher nicht. Irgendwann kam bei allen der Knick. Bei Crone verliert sich nach einem Engagement beim SV Sulzemoos vor zwei Jahren die Spur. Wingerter wechselte zu diesem Zeitpunkt zu Rot-Weiß Essen und spielt viertklassig. Masmanidis kickt nach einer Odyssee über Zypern und Griechenland in Belgien beim Zweitligisten CS Visé . Nirgendwo sonst welkt der Lorbeer so schnell wie beim Übergang vom Juniorenbereich in den Profifußball . Daran erinnern Ausbilder beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) derzeit bitte nur hinter vorgehaltener Hand, denn niemand mag öffentlich den schönen Erfolg schmälern, den die aktuelle U19-Auswahl gerade bei der EM errungen hat.

Im Halbfinale wurde Österreich mit 4:0 (2:0) abgefertigt, als habe es der deutsche Nachwuchs mit einem Sparringspartner zu tun gehabt. Dabei hat der Nachbar vielversprechende Talente zusammen, von denen sich einige hierzulande in den Internaten tummeln. Doch gegen die technisch und taktisch überlegene Auswahl von U19-Nationaltrainer Marcus Sorg wirkten die Österreicher wie Schulbuben.

"Das hat unsere Mannschaft großartig gemacht. Den Einzug ins Finale hat sie sich verdient", sagte Sorg und klang für seine Verhältnisse fast überschwänglich. Der ehemalige Freiburger Bundesliga-Trainer kann sich nun im Endspiel morgen gegen Portugal (19 Uhr/Eurosport) mit einer Trophäe schmücken, die Deutschland in dieser Altersklasse letztmals 2008 gewann, um dann in schöner Regelmäßigkeit die Endrunde zu verpassen.

Das letzte Ausrufezeichen setzte eine U19 mit den prägenden Zwillingen Lars und Sven Bender , deren Werdegang zum A-Nationalspieler wegen der Mischung aus Klarheit im Kopf, Talent in den Beinen und Robustheit im Körper beinahe so sicher gewesen ist wie das Amen in der Kirche. Bei den deutschen Torschützen vom Montag sind sich die Experten nicht so sicher: Davie Selke vom SV Werder war vergangene Saison von einem Stammplatz so weit weg wie Bremen von der Champions League, Marc Stendera von Eintracht Frankfurt warf ein Kreuzbandriss aus der Bahn, Mittelfeldmann Levin Öztunali von Bayer Leverkusen schien das Etikett des Seeler-Enkels zu belasten, und Hany Mukhtar von Hertha BSC hat bei seinen bislang 324 Erstligaminuten nur jeden dritten Zweikampf gewonnen.

Sie haben alle irgendwie den Leistungsvergleich mit den Gleichaltrigen in Ungarn gebraucht, um die Hemmschuhe auszuziehen. Der künftige DFB-Sportdirektor Hansi Flick bescheinigt den Jahrgängen 1995 und 1996 eine "hohe Qualität". Die nicht zur EM abgestellten Schalker Max Meyer und Leon Goretzka oder den Stuttgarter Timo Werner dazugerechnet, scheint die schwarz-rot-goldene Zukunft tatsächlich rosig. Doch eine Garantie gibt es nicht, wenn die Stars von morgen einen Titel im Juniorenbereich nicht in erster Linie als Ansporn begreifen. Wer in der Karriereplanung ein paar Fehler zu viel macht, findet sich irgendwann dort wieder, wo Janis Crone, Benjamin Wingerter und Ioannis Masmanidis verschwunden sind.

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