Nicht mal ein einziger Podestplatz

Bischofshofen · Die deutschen Skispringer haben mit dem Ausgang der 65. Vierschanzentournee nichts mehr zu tun. Vor dem Finale heute in Bischofshofen zieht Bundestrainer Werner Schuster eine ernüchternde Bilanz.

Die eisigen Temperaturen in Bischofshofen passten zur frostigen Stimmung bei den deutschen Skispringern. Schon vor dem Finale der Vierschanzentournee an diesem Freitag (16.45 Uhr/ZDF und Eurosport live) musste Bundestrainer Werner Schuster eingestehen: "Wir gehören leider zu den Geschlagenen." Auch bei der 65. Auflage konnten die deutschen Adler den seit nunmehr 15 Jahren anhaltenden Tournee-Fluch nicht besiegen. Sven Hannawald , der 2001/2002 mit seinem einzigartigen Grand Slam Skisprung-Geschichte schrieb, bleibt für weitere zwölf Monate der vorerst letzte deutsche Gesamtsieger.

Noch schlimmer: In den ersten drei Wettbewerben reichte es für die Schuster-Schützlinge nicht einmal zu einem Podestplatz. "Man muss jetzt die Moral hochhalten und versuchen, in Bischofshofen einen guten Abschluss zu schaffen. Wir müssen weiterarbeiten, damit wir auch mal einen deutschen Tag erleben", formulierte der Bundestrainer das Ziel für die letzte Tournee-Station. In erster Linie traut er dies Markus Eisenbichler zu, der trotz seines Absturzes am Bergisel als Gesamt-Sechster immer noch seine beste Tournee absolviert. "Die Schanze müsste ihm liegen. Er muss geduldig bleiben und weitermachen. Die Qualität wird sich vielleicht noch etwas verfeinern. Wenn er dann die Chance kriegt, muss er zuschlagen", sagte Schuster.

Vielleicht kann Eisenbichler noch den einen oder anderen Platz gutmachen, für das Podium im Gesamtklassement wird es aber wohl nicht mehr reichen. Mehr als 24 Punkte trennen den Bundespolizisten vom drittplatzierten Österreicher Stefan Kraft. "Wir sind vorne dabei, aber zu weit weg vom Podest", bilanzierte Schuster. Was nicht verwundert, ist doch mit Severin Freund der Siegspringer der letzten Jahre verloren gegangen. Schon vor seiner Erkrankung, die Freund zur vorzeitigen Abreise zwang, war der formschwache Weltmeister nur hinterher gesprungen. "Andere Verbände, die das Führungspferd verlieren, sind auch schon mal weggebrochen. Uns ist das nicht passiert", stellte der Bundestrainer erleichtert fest.

Dafür zeichnete sich neben dem neuen Frontmann Eisenbichler vor allem Stephan Leyhe verantwortlich. "Er war ein Lichtblick", lobte Schuster den Gesamt-Achten. Leyhe hat sich als feste Größe im Team etabliert. "Er fängt an, mehr an sich zu glauben", attestierte Schuster dem 24-Jährigen eine gute Entwicklung. Da auch bei Team-Olympiasieger Andreas Wellinger die Qualität der Sprünge langsam besser wird, wie er gestern mit seinem Schanzenrekord in der Qualifikation bewies (siehe Auf einen Blick), wittert Schuster noch die Chance auf einen erfolgreichen WM-Winter: "Ich hoffe, dass wir in Bischofshofen einen guten Abschlusswettkampf machen. Dann gehen wir neue Ziele an." Zumal er auch Severin Freund noch nicht abgeschrieben hat. "Ich hoffe, er erholt sich schnell, denn er hat viel zu tun", sagte der deutsche Cheftrainer. Einen Aufbauplan für den Gesamt-Weltcupsieger von 2015 hat er noch nicht ausgeklügelt. "Mal sehen, wie lange es dauert. Dann werden wir entscheiden, ob er ein paar Trainingstage einschiebt oder ins Wettkampfgeschäft zurückkehrt", sagte Schuster.Mit dem großen Ziel vor Augen spürt Daniel Andre Tande nun doch Druck. "Es läuft super, aber das Preisgeld reicht noch nicht - da muss noch mehr kommen", sagt der Spitzenreiter der 65. Vierschanzentournee : "Ich will ein Appartement kaufen, damit ich endlich aus meinem Kinderzimmer ausziehen kann. Aber Wohnungen in Oslo sind teuer."

Am Neujahrstag hatte der 22-Jährige in Garmisch-Partenkirchen gewonnen, drei Tage später setzte sich der Senkrechtstarter mit dem Sieg im Windchaos von Innsbruck an die Spitze des Klassements. Hauchdünn freilich mit nicht mal einem Meter Vorsprung auf den Polen Kamil Stoch . Die Chancen stehen gut, dass Tande nach dem Finale in Bischofshofen heute (16.45 Uhr/ZDF und Eurosport) beim Makler seines Vertrauens durchklingeln kann.

"Noch ist nichts entschieden, ich muss im Angriffsmodus bleiben", sagt Tande. Ein bisschen unangenehm war dem Überraschungsmann die Gemengelage: Zwar hatte Tande bei schwierigsten Bedingungen im auf einen Durchgang verkürzten Wettkampf einen starken Sprung abgeliefert, seine Kontrahenten hatten aber auch teils grandioses Pech erwischt. Der bis dahin in der Gesamtwertung führende Stoch war im Probedurchgang schwer gestürzt und gehandicapt immerhin noch Vierter geworden. Den hinter Stoch zweitplatzierten Stefan Kraft (Österreich) hatte Brechdurchfall geschwächt.

Dabei galt Tande eigentlich nur als norwegische Notlösung für die Saison. Weltmeister Rune Velta trat zurück, dem im Vorjahr überragenden Kenneth Gangnes riss das Kreuzband, Skiflug-Weltrekordler Anders Fannemel ist wie Johann Andre Forfang völlig neben der Spur. Dass damit alle Norweger auf Tande schauen, beunruhigt ihn nicht. Kummer bereitet ihm nur seine Höhenangst. Jawohl: Ein Skispringer mit Höhenangst - kann man sich gar nicht ausdenken. "Es funktioniert immer so lange gut, bis ich oben auf der Schanze sitze und runterschaue, wo ich hinspringen werde", sagt Tande. Und das ist derzeit weit unten.

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Auf einen Blick Andreas Wellinger hat mit dem weitesten Wettkampf-Sprung in der Geschichte der Vierschanzentournee überraschend die Qualifikation für das Finale in Bischofshofen gewonnen. Der 21-Jährige segelte auf 144,5 Meter und verbesserte den Schanzenrekord des Japaners Daiki Ito aus dem Jahr 2005 um 1,5 Meter. "Das war ziemlich nah am perfekten Fliegen, ein tolles Gefühl. Morgen will ich noch zweimal einen solchen Sprung raushauen", sagte Wellinger. Der Elfte der Gesamtwertung hatte schon im Training mit den Rängen drei und eins überzeugt. sid

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