Die Freude kam erst im Nachhinein

Glücklich sieht sie nicht aus. Zumindest auf den Bildern von damals. Christiane Junker sitzt am Esstisch in ihrem Haus in Merzig-Schwemlingen, schaut das Fotoalbum aus ihrer Zeit als Spitzenruderin durch.

 Der deutsche Frauen-Achter kurz nach dem Zieleinlauf im Olympia-Finale 1992: Bei Christiane Junker (Dritte von rechts) überwog erst einmal der Ärger über den verpassten Sieg. FotoS: Schlichter/Junker

Der deutsche Frauen-Achter kurz nach dem Zieleinlauf im Olympia-Finale 1992: Bei Christiane Junker (Dritte von rechts) überwog erst einmal der Ärger über den verpassten Sieg. FotoS: Schlichter/Junker

Von ihrer einzigen Olympia-Teilnahme - in Barcelona 1992 mit dem Deutschland-Achter - gibt es nur ein paar Fotos. Eines zeigt sie im Boot, kurz nach dem Finallauf, nach zwei Kilometern in etwas mehr als sechs Minuten. Anderthalb Sekunden haben ihnen die Rumäninnen abgenommen, das kanadische Boot war fünf Sekunden schneller - das war's, sonst konnte sich keiner mehr vor die Deutschen schieben. Dritter Platz, Bronze, Junker hatte ihre Olympiamedaille sicher. Und ihr Gesichtsausdruck? Strahlend, lachend, jubelnd? Nein, ernst.

Ein anderes Foto: Mannschaftsaufstellung mit Medaille. Die meisten lächeln, nicht ausgelassen zwar, aber immerhin, sie lächeln. Junker nicht. Aber ihr Blick ist fest und gerade zur Kamera gerichtet, der rechte Arm angewinkelt, die Hand geht zur Hüfte: Stolz scheint das auszudrücken, ja, stolz sieht sie aus. "Wenn man sich mehr vorgenommen hat, ärgert man sich halt erstmal", sagt Junker knapp 24 Jahre später am heimischen Esstisch. Ärgert sich, dass es nicht Gold wurde, dass es da zwei Boote gab, die schneller waren. "Die Freude kommt aber mit der Zeit", sagt sie, und die Einsicht: "Die anderen waren halt besser, und wir hatten am Ende nicht mehr die nötigen Körner."

Dass Junker, geborene Harzendorf, überhaupt zum Rudersport kam, war ein Stückweit dem Zufall geschuldet. Im Alter von 15 Jahren hat sie erst angefangen, wollte lieber Kanufahren. Aufgewachsen in Borna, einem Braunkohle-Städtchen in Sachsen, hatte sie 1983 entschieden, sich für die Sportschule im 30 Kilometer entfernten Leipzig zu bewerben. "Sportschule, das war was Besonderes damals in der DDR", sagt Junker. Im Fernsehen war viel Sport zu sehen, der Staat war stolz auf seine Athleten.

Im Leistungstest fürs Kanu fiel Christiane Junker allerdings durch, dazu reichte das Kraftvermögen noch nicht. Ein Sichtungstrainer vom Ruderbereich hatte sie aber gesehen, und im Rudern war eher die Größe entscheidend. "Das System war halt so", sagt Junker. Vermessen und eingeordnet: "Die Großen, Kleinen, Dicken, Dünnen wurden in die entsprechenden Sportarten gepackt." Wäre sie woanders gesichtet worden, hätte sie vielleicht eine andere Sportart gemacht. Nun also Rudern .

Sie ist erst einmal hinterher gerudert, ihr fehlten die Grundlagen der anderen, die früher mit dem Sport begonnen hatten. Schlecht war Junker zwar nicht, aber für die Spitze reichte es nicht, zur Nationalmannschaft hat immer ein Stück gefehlt. Die Saison-Höhepunkte, die Welt- und Europameisterschaften der Junioren, fanden ohne sie statt.

Voran ging es ab 1987, als Junker vom Einer in den Zweier wechselte, von den Skulls zum Riemen. Statt zwei Ruder musste sie nur noch eines bewegen, was eine große Umstellung in der Rudertechnik bedeutete. In den Zweier gewechselt ist sie im Dezember 1987, die Vorbereitung für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul begann im darauf folgenden Frühjahr - das war zu wenig Zeit für die Umstellung. Junker verpasste wieder einen Höhepunkt knapp, und weil es Olympia war, tat es besonders weh. Aber Junker und ihre Trainerin wussten: Wenn du die Technik stabilisierst, bist du drin.

Im Zweier mit Ute Schell (geborene Stange) lief es anschließend gut, und im Vierer ohne Steuerfrau qualifizierte sich Junker 1989 endlich für ihren ersten internationalen Höhepunkt: für die WM 1989 in Jugoslawien. Die begann mit einem kleinen Schrecken, eine Frau aus der Besatzung wurde krank und musste ausgewechselt werden. Also mit der Neuen erst einmal einfuchsen, Rhythmus und Technik einstimmen. Das ging problemlos, das DDR-Boot ruderte sich ins Finale: Raketenstart, geschaut wer kommt, die Chinesen kommen, die Rumänen kommen, der nächste Spurt. In einen Tunnel haben sie sich gerudert, gerade Junker, die so oft so knapp dran war. "Und du fährst da ja nicht hin, um Dritter zu werden", sagt sie: "In dem Bereich macht das keiner. Du willst immer den Titel." Und den bekam sie auch, bei der ersten Teilnahme wurde Junker gleich Weltmeisterin.

Dann fiel die Mauer. Junker verfolgte das während eines Trainingslagers im Fernsehen. Ist nicht wahr, dachte sie, das kann gar nicht sein. Sie hatte in Leipzig zwar die Montagsdemos mitbekommen. "Aber dass die Mauer wirklich aufgeht, hätte nie einer gedacht. Nie." Junker war auch vorher schon häufig im Westen, auf internationalen Wettkämpfen, das war ein Privileg der Sportler. Das war dann schon faszinierend, die bunt beleuchteten Städte. Aber dort leben? "Die Mannschaft, die Trainerin, das war so ein Verbund, mich hätte es nicht rausgezogen. Warum? Nur weil es da Leuchtreklame gab und man gutes Kaugummi kauen konnte - nee." Jetzt also war die Mauer gefallen, und BRD und DDR sollten zusammenkommen. Ein seltsames Gefühl.

Ungewissheit folgte. Wie geht es jetzt weiter? Das System DDR gab es nicht mehr, die Trainer wurden reihenweise entlassen. Junker und ihre Zweierpartnerin trainierten weiter, im Herbst 1990 auf einer Langstrecke in Dresden. Dort trafen sie erstmals auf Vereine aus Westdeutschland, auch Verantwortliche vom Olympiastützpunkt in Saarbrücken waren da. Ein paar Dresdner waren schon im Saarland, also wechselte auch die Leipzigerin Junker nach Saarbrücken. Ihre Trainerin, Herta Weissig, die sie zur Weltklasseruderin gemacht hatte, musste sie zurücklassen.

Die Umstellung war groß, das Leben ganz anders. Zum ersten Mal tauchte die Frage auf: Wie finanziere ich mich eigentlich? Junker hatte Schlosserin bei der Reichsbahn gelernt, nach der Ausbildung war der Job aber eher pro forma: ab und zu im Werk vorbeischauen, die Klamotten im Spind lüften. Ihr eigentlicher Beruf in der DDR war das Rudern , von morgens bis abends. In Saarbrücken kam Junker bei der VSE unter, nach einem Praktikum folgte eine Ausbildung zur Industriekauffrau.

Sportlich klappte es in der neuen Heimat auf Anhieb, im Achter fuhr Junker zu Olympia 1992. Dort fanden die Ruder-Wettkämpfe nicht direkt in Barcelona statt, sondern im mehr als 100 Kilometer entfernten Banyoles. Anfangs fühlte man sich dort schon ein bisschen abseits, die Ruderer waren ja unter sich, das Zusammentreffen mit den anderen Sportarten hat gefehlt. Das kam erst nach den Wettbewerben, als auch die Ruderer von Banyoles ins Olympische Dorf nach Barcelona zogen. Und da stand man plötzlich neben Boris Becker oder Steffi Graf . "Oder da kommt ein Boxer oder ein Ringer an und du denkst, boah, haben die Muskeln!" Und die riesigen Fleischlappen, die die Typen sich im Versorgungsbereich reinspachtelten . . . Junker lacht, als sie sich an die Bilder erinnert.

1993 fuhr Junker noch einmal zur WM, wurde mit dem Achter wieder Dritter. Zur Weltmeisterschaft 1994 nahm der Bundestrainer sie kurzfristig aus dem Boot. Warum? Das weiß sie so richtig bis heute nicht. Als Ersatzfrau fuhr sie mit, ein frustrierendes Erlebnis. "Die WM lief mehr oder weniger an mir vorbei", erzählt sie. Dass der Achter ohne sie im Boot Gold geholt hat - geschenkt. "Weltmeister wären wir auch mit mir geworden."

Den Ehrgeiz hat ihr das Erlebnis nicht genommen, sondern eher angestachelt. Zwei Jahre später stand ja wieder Olympia an, und Junker wollte beweisen, dass sie in den Deutschland-Achter gehört. Nach einem kalten Winter bekam Junker aber gesundheitliche Probleme, im Training auf Belastungsstrecken blieb ihr die Luft weg. Belastungsasthma, sagten die Ärzte. Sie hat erstmal eine Zeitlang ausgesetzt, hatte inzwischen ihren späteren Mann Axel bei der Arbeit kennengelernt. Der war Vorsitzender des Merziger Saarwaldvereins, ging am Wochenende häufig wandern. Also ist Junker mitgegangen, zur Ablenkung. Aber selbst beim Wandern hatte sie Probleme beim Atmen. Das war ein prägendes Erlebnis: Als sie mit den Opis im Wald gewandert ist, mit 60- und 70-Jährigen, und sie als Jungspund, als Leistungssportlerin, hechelte am Ende des Feldes hinterher, japsend, pfeifend. Mit Cortison wäre Sport zwar wohl noch möglich gewesen, aber das wollte Junker nicht: Medikamente nehmen, um Sport machen zu können. "Zumindest wissentlich", sagt sie, hatte sie auch damals, in der DDR, nichts eingeworfen.

Ihr Umfeld, ihre Freunde und Kollegen, halfen ihr dabei, nach dem erzwungenen Ende der Ruderkarriere nicht ins Nichts zu fallen. Recht bald stand Nachwuchs an, sie zog mit ihrem Mann von Saarbrücken nach Merzig, wo auch die Eltern ihres Mannes wohnen. Junker ist im Saarland längst heimisch geworden.

Sie rudert nur noch sporadisch, spielt inzwischen vor allem Tennis. Fährt regelmäßig nach Sachsen, wo ihre Eltern noch leben. Dort hat sie auch kürzlich ihre alte Trainerin besucht, nochmal die alten Zeiten Revue passieren lassen. "Schöne Zeiten", sagt Junker. Das Lächeln, das man auf den Fotos nach dem Olympia-Finale erfolglos sucht, das hat sie inzwischen gefunden.

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