Wildbret für den Rotmilan

Saarbrücken · Der Naturschutz und andere Auflagen zeigen den Windpark-Betreibern enge Grenzen auf. Selbst ein Großinvestor wie der Versorger VSE glaubt, dass dadurch der Bau neuer Windanlagen spürbar erschwert wird.

 Ein Windrad des VSE-Parks bei Oberthal. Er besteht aus vier Anlagen. Im Hintergrund ist der Bostalsee zu sehen. Foto: B&K

Ein Windrad des VSE-Parks bei Oberthal. Er besteht aus vier Anlagen. Im Hintergrund ist der Bostalsee zu sehen. Foto: B&K

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 Der Rotmilan und viele andere Tiere müssen vor Windrädern geschützt werden. Foto: Bigler

Der Rotmilan und viele andere Tiere müssen vor Windrädern geschützt werden. Foto: Bigler

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 Andreas Fisch, Marc Bonner, Andreas Windhäuser und Hannes Kerber (v.l.) sind für den reibungslosen Betrieb der Windparks zuständig. Foto: B&K

Andreas Fisch, Marc Bonner, Andreas Windhäuser und Hannes Kerber (v.l.) sind für den reibungslosen Betrieb der Windparks zuständig. Foto: B&K

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Im Energieland Saar soll die Windkraft weiter beflügelt werden. Anfang Mai hatte der Energieversorger VSE gleich drei Windparks mit insgesamt 16 Anlagen in Perl, Losheim und Oberthal in Betrieb genommen. Doch die Erfahrungen aus diesen drei Vorhaben sind eher ernüchternd. "Wenn die Förderung durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) gesenkt wird und die Vorgaben für die Windernte steigen, wird der Bau neuer Windräder im Saarland schwierig", ist der frühere VSE-Vorstand Tim Hartmann überzeugt. Neben den hohen Pachtforderungen der Grundstücks-Eigentümer und den steigenden Herstellungskosten sind es vor allem die Natur- und Landschaftsschutz-Auflagen an der Saar, "die Bau und Betrieb neuer Windparks fast unmöglich machen". Frank Schmeer, der bei der VSE Projektleiter für die drei Windparks war, kann ein Lied davon singen.

"Allein im Losheimer Ortsteil Britten, wo einer der VSE-Windparks errichtet wurde, gibt es neun verschiedene Fledermaus-Arten", weiß er heute. Damit die nachtaktiven Tiere nicht mit den sich drehenden Rotorblättern der Windräder zusammenstoßen oder ihre Lungen durch den entstehenden Unterdruck (Barotrauma) zerstört werden, muss der Windpark im Sommer - exakt vom 1. April bis 31. Oktober - nachts abgeschaltet werden. "Allein schon das schränkt die Wirtschaftlichkeit stark ein", sagt Hartmann. Um die Fledermaus-Population zu messen, müssen nach Angaben Schmeers an jedem Windrad zwei Sonden angebracht werden - eine an der Gondel und eine in halber Höhe. Aufgrund der Mess-Ergebnisse dieses Monitoring-Verfahrens entscheidet die Genehmigungsbehörde - im Saarland ist dies das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz (LUA) -, ob die Stillstand-Zeiten später verkürzt oder verlängert werden. In anderen Bundesländern ist der VSE zufolge die Zahl der vorgeschriebenen Mess-Sonden pro Windpark wesentlich geringer. Auch das Balzverhalten der Fledermäuse muss in einem dreijährigen Monitoring-Verfahren studiert werden. Wenn sich herausstellt, dass die kleinen Säuger in der Nähe der Windräder Balz- oder Zwischenquartiere gewählt haben, "müssen die Windräder in einem noch größeren Umfang abgeschaltet werden", sagt Schmeer.

Die Rotorblätter dürfen sich außerdem nicht drehen, wenn die Bauern ihrer Feldarbeit nachgehen. Das gilt für das Pflügen, Eggen, Säen und Ernten. Dann werden nämlich die Feldmäuse, die sich im Boden eingenistet haben, aufgescheucht und dienen den Greifvögeln als Beute. Diese Vögel könnten dann von den Rotoren getötet werden. Bei jedem der vier Feldarbeits-Vorgänge müssen die Räder für drei Tage gestoppt werden - und zwar im Durchmesser von 212 Meter rund um das Windrad. Wenn diese Fläche mehreren Bauern gehört und diese ihre Arbeiten auf den Äckern zeitlich versetzt verrichten, "erhöht sich die Zahl der Stillstands-Tage entsprechend", erläutert Schmeer.

In Perl dürfen sich die Rotorblätter außerdem nicht drehen, wenn der Mornellregenpfeifer, ein Brutvogel aus der Tundra, im Dreiländereck einen Stopp einlegt. Die Ornithologen haben entdeckt, dass der etwa 22 Zentimeter große Vogel in Perl, Frankreich und Luxemburg "drei Nahrungshabitate hat", er also dort mit sicherem Futter rechnet. Das gleiche gilt für den Goldregenpfeifer. Die besondere Zuneigung der Naturschützer zum Mornellregenpfeifer hat laut VSE sogar dazu geführt, dass das Unternehmen in Perl auf fünf ursprünglich geplante Windräder verzichtet hat, damit die Gefahr eines Zusammenstoßes mit den Rotorblättern weitgehend ausgeschlossen ist.

Unter besonderem Schutz stehen auch der Rotmilan und der Schwarzstorch. Beim Windpark in Losheim hat das LUA nach VSE-Schilderung vorgegeben, dass die Windräder einen Abstand von drei Kilometer zum Vogelhorst des Schwarzstorches haben müssen. Auch wenn der Vogel sich zum Nisten inzwischen einen anderen Horst gebaut hat, "gilt für die leerstehende Wohnung des Schwarzstorchs ein Bestandsschutz von fünf Jahren", erläutert VSE-Projektleiter Schmeer. Beim Rotmilan wurde der Abstand zwischen Horst und Windrad zunächst auf einen Kilometer festgelegt. "Während des Genehmigungsverfahrens ist dieser Abstand auf 1,5 Kilometer erweitert worden", schimpft VSE-Vorstand Hartmann.

Der Greifvogel hat es auch sonst gut. Vom 1. März bis Mitte Mai kann er sich Jagdflüge schenken. Er muss vom Windparkbetreiber gefüttert werden, damit er nicht von den Rotorblättern geschreddert wird. "Auf einem zwei Meter hohem Holzbock mussten wir ihm in diesem Zeitraum jeden Tag fünf Kilogramm Wildbret servieren", so Schmeer.

In Oberthal und Losheim darf auch der Schwarzstorch nicht darben. Dort sollen auf VSE-Kosten Flachwasser-Teiche angelegt und Fische ausgesetzt werden, "damit sich der Storch bei der Nahrungssuche von den Windparks entfernt." Das genaue Schwarzstorch-Verhalten muss auch hier durch ein drei- bis fünfjähriges Monitoring-Verfahren studiert werden. Erst danach werden die Auflagen für den Windrad-Betreiber präzisiert.

In Losheim und Perl hatte auch der Denkmalschutz ein Wörtchen mitzureden. So vermutete Professor Wolfgang Adler vom Landesdenkmalamt, ein Spezialist für Vor- und Frühgeschichte, an den Windrad-Standorten eine Vielzahl von Gräbern aus alter Zeit. Das Areal wurde gepflügt und der Boden in einer Tiefe von 60 Zentimeter abgetragen. Mithilfe der so genannten Magnetoprospektion fahndeten die Wissenschaftler dann nach Eisenteilen oder anderen archäologischen Funden. Die VSE kostete der ganze Spaß 35 000 Euro. Die archäologische Ausbeute war eher bescheiden. "In Losheim wurde eine Cola-Flasche aus den 1950er Jahren gefunden", erinnert sich Schmeer. Andreas Windhäuser ist von Berufs wegen schon ein naturverbundener Mensch. Die bewaldeten Hügel des nördlichen Saarlandes sind das Revier des Elektromeisters. Der 44-Jährige ist eine Art "Mühlenwart" für die neuen Windparks der VSE in Perl, Losheim und Oberthal .

Er ist Leiter Erneuerbare Energien bei der VSE-Tochter Famis und dort für den technischen Betrieb zuständig. Fünf Leute hat er in seinem Team. Reparaturen in 150 Meter Höhe und auf engem Raum verlangen von den Herren über Volt und Watt schon einiges ab. "Wir sind wie Seilschaften am Berg, einer arbeitet, ein anderer sichert ihn ab", sagt Windhäuser. Vieles läuft automatisch und kann von der zentralen Störvermittlung erledigt werden. Dann muss niemand raus. Wenn nachts die Außentemperatur mehr als zehn Grad beträgt und die Windgeschwindigkeit unter zehn Meter liegt, werden die Anlagen abgeschaltet, weil dann Fledermaus-Flug zu erwarten ist. Stillstand ist auch angesagt, wenn sich Eis an den Rotorblätter festsetzt, um Verletzungen durch umherfliegende Eisstücke zu verhindern.

Außerdem sorgen die Betriebstechniker dafür, dass die Windräder möglichst wenig Schatten über bewohntem Gebiet werfen. "Dann drehen wir die Gondel, um den Schattenwurf gering zu halten, oder stoppen die Anlage", erzählt Windhäuser. Auch die Blinklichter der Flugbefeuerung können in klaren Nächten gedimmt werden, damit sie nicht so stark stören.

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