Blick zurück ohne Zorn

Völklingen · Fast 21 Jahre hat Peter Balzert seine Buchhandlung in der Völklinger Poststraße betrieben. Es rechnet sich nicht mehr, sagt er. An Heiligabend, 13 Uhr, macht er zu. Und verabschiedet sich mit einer eigenen literarischen Gattung, einer Tagebuch-„Suada“, von seinen Kunden.

 Nachdenklichkeit liegt in seinem Blick, vielleicht auch etwas Wehmut: Peter Balzert gestern in seiner Buchhandlung. Foto: Oliver Dietze

Nachdenklichkeit liegt in seinem Blick, vielleicht auch etwas Wehmut: Peter Balzert gestern in seiner Buchhandlung. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Eine Mittelstadt ohne "richtige" Buchhandlung? Ohne Buchhändler , der Neuerscheinungen wälzt, Stammkunden die "richtigen" Vorschläge macht und sich auf der Frankfurter Messe umsieht? In Völklingen wird es bald so weit sein, denn Bücher Balzert in der unteren Poststraße hat für - ausgerechnet - Heiligabend die letzte Schicht angekündigt. "Fast ein Notfall", hat jemand in eine Art Kondolenzbüchlein geschrieben, das an der Kasse des Geschäftes ausliegt. Eine Kundin aus dem Warndt hatte es eingerichtet, und täglich kommen von Herzen gemeinte Trauerbekundungen hinzu, lauter kleine Gesten der Anteilnahme. Aus ihnen spricht aber auch Hilflosigkeit: Wo sollen wir jetzt hin? Auch in Heusweiler und Sulzbach haben in diesem Jahr schon Buchhandlungen geschlossen.

Schließung macht viel Arbeit

Für Peter Balzert, 60, einen "lesenden Buchhändler " wie aus dem Lehrbuch, eine Vertrauensperson mit Kennerblick, Bart und Schurwollpulli, ist der Abschied ebenfalls nicht leicht, emotional und körperlich. Denn er muss die letzten Wochen ohne Mitarbeiterin (die zum Glück eine neue Stelle hat) auskommen. Der Geschäftsführer staunt, "dass eine Schließung mindestens so viel Arbeit macht wie eine Eröffnung" - was da alles gekündigt und bedacht sein wolle! Viele Kunden bestellen ein letztes Mal etwas oder erkundigen sich nach dem Befinden des Inhabers, nachdem dieser am Montag - für viele überraschend - seinen Rückzug mit einer großen Zeitungsannonce angekündigt und sich "für eine schöne Zeit" bedankt hatte.

Peter Balzert, ein Illinger, der mit der Familie in Heusweiler lebt, hatte als angestellter Buchhändler in St. Ingbert gearbeitet und sich, nach sorgfältiger Standortsuche, im März 1995 in Völklingen selbstständig gemacht. Den Geschäftsgang kann er leicht beschreiben: zehn Jahre stetig nach oben, obwohl anfangs noch drei Wettbewerber am Ort waren. "Ab 2005 ging es dann kontinuierlich in die Gegenrichtung", sagt Balzert, wobei der Wendepunkt hauptsächlich durch den Internethandel, vor allem durch den Konzern Amazon , verursacht worden sei. Die traditionellen, an Beratung interessierten Kunden des stationären Handels stürben langsam aus, während die Jugend nicht mehr so viele Bücher kaufe wie die jungen Leute früher.

Ohne Kram und Krach



Womöglich hätte er die Entwicklung durch ergänzende Sortimente wie Schreib- und Spielwaren verlangsamen können; "aber dazu habe ich mich nicht durchringen können", beschreibt er seine puristische Einstellung. Er wollte eine klassische Sortimentsbuchhandlung, einen Ort des Geistes, der Fantasie und auch der Stille - ohne Kram und Krach.

Dass dieses Geschäftsmodell kaufmännisch kaum mehr vertretbar ist, akzeptiert Balzert ohne Hadern, Klagen und Selbstmitleid. Er hat fast 21 Jahre mit Herzblut reingesteckt, bekam einiges zurück - und nun ist gut damit. Um die Wehmut zu verarbeiten, veröffentlicht Peter Balzert seit 1. Oktober auf der Homepage des Geschäftes ein Abschieds-Tagebuch, das er selbstironisch "Suada" (Redefluss, Wortschwall) nennt. Der Buchhändler plaudert, philosophiert, raunt, grübelt, manchmal ernst, oft humorvoll, über kleine und große Dinge, Gott und die Welt, Konzerne und Hilfspolizisten, über das Geschäft - und über sich und seine Kunden.

In freier Anlehnung an Rilkes "Herbsttag" wird Balzert gar zum Stadt-Dichter: "Wer jetzt kein Center hat, baut sich keines mehr./ Die Fische werden nicht mehr lange bleiben. . . / Doch lasst uns nicht länger Düstres nun beschreiben,/ ins Warme nun und dicke Bücher her,/ und Tee, wenn erste Flocken gegen Scheiben treiben."

Es ist eine Freude, die Einträge zu verfolgen und den Buchhändler auf den letzten Tagen in Völklingen zu begleiten. Vielleicht wird daraus ja mal ein Buch, das dann andere Buchhändler lesen und empfehlen. Was Peter Balzert demnächst macht, verrät er noch nicht. Es sei für ihn gesorgt, lässt er wissen.

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