Das zweite Leben beginnt in Italien

Völklingen · Eigentlich sei er schon seit sieben Jahren in Rente, berichtet Dieter Strempel, Inhaber des traditionsreichen Völklinger Geschäftes Jeans Strempel. Jetzt schließt er endgültig. Und stellt sich neuen Herausforderungen.

 Bald ist Schluss: Nachdenkliche Gesichter bei Ladeninhaber Dieter Strempel (re.) und Giampietro Rosi, langjähriger Verkäufer. Foto: jenal

Bald ist Schluss: Nachdenkliche Gesichter bei Ladeninhaber Dieter Strempel (re.) und Giampietro Rosi, langjähriger Verkäufer. Foto: jenal

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 Von 1955 bis 1971 residierte die Firma Strempel in der Rathausstraße Nr. 9 auf zwei Etagen. Das Foto entstand in den 60ern. Damals gehörten Hüte, Pelze und Schirme zum Sortiment.foto: Strempel

Von 1955 bis 1971 residierte die Firma Strempel in der Rathausstraße Nr. 9 auf zwei Etagen. Das Foto entstand in den 60ern. Damals gehörten Hüte, Pelze und Schirme zum Sortiment.foto: Strempel

Ein Völklinger Traditionsgeschäft schließt: Bis Ende September bietet Dieter Strempel, Inhaber von Jeans Strempel in der Karl-Janssen-Straße, alle Artikel zu stark reduzierten Preisen an. Dann geht der jetzt 69-jährige gebürtige Völklinger endgültig in Rente. Leicht sei ihm der Entschluss nicht gefallen, "quasi als letzter der Familie das Licht ausmachen zu müssen", gesteht Strempel. 54 Jahre hat er in dem Geschäft gearbeitet, das seine Großmutter Margarethe Seimetz, zunächst mit Sitz in Saarlouis, vor 111 Jahren gegründet hatte. 1906 dann eröffnete die Oma eine Filiale in ihrer Heimatstadt Völklingen auf der Ecke Moltke-/Luisenstraße, die vier Jahre später in die Poststraße verlegt wurde. 1913 zog Familie Strempel von Saarlouis für immer nach Völklingen zurück. Zunächst verkaufte man ausschließlich Hüte und Mützen. Später kamen dann Pelze, Schirme, Pullover, Freizeit- und Strickmoden hinzu.

Seit Dieter Strempel denken kann, war er im Laden unterwegs - als Kleinkind, als Schüler, später als Lehrling. "Das Kaufmännische liegt mir im Blut", sagt er. Und so konnte er nach Abschluss an der kaufmännischen Berufsschule "mit sehr guten Noten und ein halbes Jahr früher als üblich" und mit genügend Praxis seine Eltern überzeugen, das Geschäft Anfang der 70er Jahre an ihn zu übergeben. Seine zwei Brüder waren nicht interessiert.

Strempel stellte nach 60 Jahren das Sortiment komplett um auf Jeansmoden und Sportswear. Mit Erfolg, wie sich schnell herausstellte. Noch heute funkeln seine Augen, wenn er von den "goldenen" 80er und 90er Jahren spricht. Der Kaufhof kam nach Völklingen , "der hatte enorme Sogkraft für die Region". Und Strempel verkaufte seine Mode. Auf 300 Quadratmetern in der Rathausstraße 7 bedienten 15 Mitarbeiter, "wir schafften die Mittagspause ab und arbeiteten wie der Kaufhof durchgängig bis abends". Nach der Schließung des Kaufhofs 1999 verkleinerte Strempel sein Geschäft, zog wieder einmal um, 2002 in die Karl-Janssen-Straße. Sein Erfolgsrezept, alle diese - oft auch wirtschaftlich schwierigen Jahre - zu überleben, sieht er in der individuellen Beratung: "Meine Kundschaft ist mit mir älter geworden, da ändert sich auch die Figur, und man passt nicht mehr in jede x-beliebige Jeans ."

Dass die Stammkunden den Service schätzen, sieht man an den Blumen und Sektflaschen, die sie jetzt fast täglich im Geschäft vorbei bringen. "Sie sind traurig, verstehen aber meinen Schritt", berichtet Strempel.

Für ihn bedeutet die Aufgabe seines Geschäftes gleichzeitig Aufbruch in ein ganz anderes Leben: Strempel wird viel Zeit in seiner Zweitheimat, der italienischen Provinz Umbrien, verbringen. Dafür büffelte er Italienisch. Im Dezember vor sechs Jahren heiratete er ganz still und leise seinen langjährigen Lebensgefährten Giampietro Rosi, den viele Kunden auch als Verkäufer von Jeans Strempel kennen: "Er stammt von dort unten." Die beiden besitzen 40 Olivenbäume, produzieren Öl. "Und wenn das Heimweh drückt, habe ich mir in meinem Elternhaus auf dem Heidstock die ehemalige Wohnung meiner Mutter umgebaut." Geradezu fantastisch hört sich die Geschichte von dem Löwen an, der aus dem Fenster im ersten Stock eines Hauses in der Rathausstraße sprang: Über der damaligen Strempel-Filiale gab es die Maxim-Bar, in der auch eine Nackttänzerin auftrat. Offensichtlich um deren Auftritt noch exotischer und aufregender zu gestalten, legte sich der Bar-Betreiber einen Löwen zu. "Der lag normalerweise in einem Käfig neben dem Hauseingang", berichtet Strempel. Zu Auftritten wurde er zur Bühne geleitet und frei gelassen. Einmal gab es einen Riesenknall, wahrscheinlich ein Sektkorken oder Ähnliches, vermutet Strempel. Vor Schreck sprang der Löwe aus dem Fenster, das offen stand, lief zum gegenüber liegenden Blumenladen und legte sich friedlich in den Eingang - bis er wieder eingefangen wurde.

Eine weitere Anekdote beleuchtet die Geschäftsphilosophie noch zu Zeiten von Strempel Senior. Die Familie R. aus Fürstenhausen wollte im Oktober 1954 für die vierjährige Tochter einen Wintermantel kaufen und fand bei Strempels einen Pelz, der ihr zusagte. Der Mantel passte akkurat. Aber wäre nach einem Jahr zu klein, gab Alois Strempel zu bedenken. Weil der nächstgrößere Mantel aber nicht vorrätig war, durfte das Mädchen genau diesen passenden mitnehmen. Nach dem bevorstehenden Fest, zu dem die Familie geladen war, sollte dann der größere Mantel parat sein. Die Familie durfte dann den getragenen Mantel nach 14 Tagen zurückgeben und den neuen, größeren mitnehmen. Service am Kunden, nannte der Senior das. Die Eltern, beide mittlerweile 91 Jahre alt, die Tochter über 60, sind heute noch Stammkunden in seinem Geschäft, berichtet Dieter Strempel. Und die Mantel-Geschichte von damals wird immer noch gerne erzählt.

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