Ohne Rücksicht aufs EU-Recht

Völklingen · Die Firma Total will auf der grenznahen Chemieplattform Carling/ St. Avold eine neue Anlage zur Produktion von C4-Harzen und ein Butadien-Lager errichten. Lothringens Behörden haben das Vorhaben jetzt genehmigt (die SZ berichtete). Dagegen will die Stadt Völklingen sich wehren.

 Chemie-Produktionsanlagen, so weit das Auge reicht: die Plattform Carling/ St. Avold. Foto: Michel Labelle/Total Petrochemicals

Chemie-Produktionsanlagen, so weit das Auge reicht: die Plattform Carling/ St. Avold. Foto: Michel Labelle/Total Petrochemicals

Foto: Michel Labelle/Total Petrochemicals

Wolfgang Bintz ist auf der Palme. Völklingens Stadtrat und mehrere Einzel-Fraktionen hatten kritische Einwände formuliert zu den Neubau-Plänen der Firma Total Petrochemical France auf der Chemieplattform Carling/ St. Avold. Ergänzend hatte Christdemokrat Bintz, zweiter Mann an der Völklinger Rathausspitze, eine zweite Stellungnahme nach St. Avold geschickt. Die Rechtsanwältin Franziska Heß - Referentin bei einem Infoabend der Bürgerinitiative "Saubere Luft für die Warndtgemeinden" in Großrosseln (wir berichteten) - und ihre Kanzlei hatten dabei die Federführung. Ihr Fazit: Was die lothringischen Behörden hier tun, widerspricht europäischem Verfahrensrecht und verbindlichen europäischen Umweltvorschriften.

Und jetzt kam, dennoch, die Nachricht aus Frankreich, dass die dortigen Behörden grünes Licht gegeben haben für die Total-Vorhaben - ohne auch nur einen einzigen Einwand zu berücksichtigen, egal ob von deutscher oder französischer Seite vorgebracht. Die Stadt Völklingen werde wohl vor Gericht ziehen gegen diese Genehmigung, sagt Bintz, und es klingt ein wenig bitter. Doch ehe man das definitiv entscheide, warte man die Übersetzung der bisher nur auf Französisch vorliegenden Dokumente ab; das saarländische Umweltministerium wolle sie bis Ende der Woche bereitstellen. Man werde dann auch nochmal mit dem Ministerium reden.

Sie hat es in sich, die 15-seitige Zweit-Stellungnahme der Stadt Völklingen . Was Heß am Großrosseler Rednerpult skizziert hatte, wird darin in präziser, schlüssiger Argumentation entfaltet, Schritt um Schritt. Die von den Franzosen gewählte Form der Öffentlichkeitsbeteiligung genüge nicht den Standards, die das EU-Recht vorgebe bei Projekten mit grenzüberschreitender Auswirkung. Denn "prüffähige" Unterlagen, also solche mit Daten, Zahlen und Fakten, gibt es nicht auf Deutsch; die Antragsunterlagen sind "im Wesentlichen unverständlich, völlig unzureichend und unvollständig". Die von den Lothringern gesetzte Frist zur Stellungnahme war kurz, "unter diesen Bedingungen vollkommen unangemessen". Und der Einwirkungsbereich der grenznahen Chemieplattform wurde (zu) eng bemessen, statt aller Anrainer-Kommunen war nur Völklingen einbezogen.

So weit zum Verfahren. Und dann geht es zur Umwelt-Sache selbst, Schlag auf Schlag. Prüfung der Vorbelastung mit Schadstoffen? Prüfung der Gesamtbelastung, auch im Zusammenhang des aktuellen Vorhabens mit dem größeren Projekt "Ambition Carling 2016"? Details zu Luftschadstoffen und Gerüchen? Begründungen für die Total-Einschätzung, Gesundheitsrisiken seien "akzeptabel"? Prüfung, ob die neuen Anlagen geschützte Tierarten im nahen Naturschutzgebiet Warndt stören? Fehlanzeige. Und dann auch noch Abwasser-Einleitungen in die Merle? Gar nicht genehmigungsfähig nach der strengen EU-Wasserrahmenrichtlinie.

Allein schon die versäumte "effektive Öffentlichkeitsbeteiligung", so heißt es warnend, sei ein "wesentlicher und schwerwiegender Verfahrensmangel", der "zwingend zu einer Aufhebung einer auf dieser Grundlage erlassenen Genehmigung führen würde".

Die Mahnung ist in Lothringen ungehört geblieben. Der Anhörungsleiter verweist immer wieder darauf, das Verfahren sei konform mit dieser oder jener französischen Vorschrift. Gleiches tut die Firma Total in ihren Antworten auf Einwendungen (sie sind Teil des Anhörungs-Berichts) - und bleibt in vielen Punkten allgemein. Wenn Wolfgang Bintz den Bericht auf Deutsch in Händen hält, wird sein Zorn kaum schwinden.

Aus dem Anhörungs-Bericht: "Empfehlungen" statt Auflagen


St.Avold/Völklingen . In den Einwendungen gegen die geplanten neuen Total-Anlagen wird besonders häufig kritisiert, dass das Unternehmen Total Abwasser in die Merle einleiten will, das das umwelttoxische Lithium enthält. Dazu schreibt der französische Anhörungsleiter in seinen "Conclusions" (Schlussfolgerungen): "Ich denke, man muss die Inbetriebnahme der Anlage abwarten, um Tests der realen Abwässer machen zu können …, damit man die Anwesenheit des Schadstoffs Lithium(-Ionen) verifizieren kann. Im Fall einer Verschmutzung muss Total schnell reagieren und eine Lösung finden, um ... alle in die Merle geleiteten Abwässer zu säubern."

Seinen "avis favorable" (günstiges Urteil) zum Vorhaben ergänzt er mit vier "Empfehlungen" an Total. Er empfiehlt,

1. "alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen" zu ergreifen, um die Anwohner "bestmöglich" vor "Umweltverschmutzung und anderen industriellen Gefahren" zu schützen,

2. die "Alarm-Kommunikation" Richtung Saarland zu "perfektionieren", um bei Zwischenfällen auf der Chemieplattform rasch die deutsche Öffentlichkeit zu informieren,

3. alle in die Merle geleiteten Abwässer sowie die Böden auf dem Betriebsgelände "regelmäßig zu überwachen", um "jegliche Verschmutzung mit Lithium-Ionen oder anderen für die menschliche Gesundheit oder die Natur allgemein gefährlichen Stoffen" zu vermeiden,

4. alle schadstoffhaltigen Abgase zu "überwachen" und "darauf zu achten", alle "von der Chemieplattform erzeugten Belästigungen" bestmöglich zu "begrenzen".

Der Abschlussbericht zur Anhörung, 177 Seiten stark, ist im Internet nachzulesen, jedoch nur auf Französisch: www.saarland.de/dokumente/thema_immissionsschutz/Bericht-Anhoerungsleiter-fr.pdf

Meinung:
Kein Abstand zu Chemie-Baronen

Von SZ-Redakteurin Doris Döpke

Die Firma Total spielt eine enorme Rolle im französischen Bericht über die öffentliche Anhörung zu ihren Neubauplänen auf der Chemieplattform Carling/ St. Avold. Nicht nur als Antragstellerin. Sie durfte auch den Übersetzer wählen für die deutschsprachigen Eingaben. Und auf alle Einwendungen antworten - wobei ihre Angaben nicht von unabhängigen Fachleuten überprüft wurden. "Man kann nicht Richter und Partei sein", hat ein Einwender geschrieben. Doch statt Distanz zur Firma zu wahren, kommt der Anhörungs-Bericht den - wirtschaftlich mächtigen - Chemie-Baronen willig entgegen.

Total und die lothringischen Behörden müssen sich warm anziehen, wenn EU-Gerichte das Genehmigungsverfahren überprüfen. Heiße Luft wie im Bericht reicht da nicht.

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