Wenn Kaufkraft sich verlagert

Quierschied · Im Blickpunkt der SZ-Serie „Handel im Wandel“ steht heute die Quierschieder Marienstraße. Früher war sie die erste Einkaufsstraße in der Gemeinde, doch mit den Jahren und mit der Ansiedlung neuer Märkte wanderte einiges an Kaufkraft aus der Ortsmitte ab.

 Horst Stöhr und Edmund Köhl (von links) erinnern sich an die früheren Geschäfte in der Marienstraße. Foto: Patric Cordier

Horst Stöhr und Edmund Köhl (von links) erinnern sich an die früheren Geschäfte in der Marienstraße. Foto: Patric Cordier

Foto: Patric Cordier

Düsseldorf hat seine Königsallee, Quierschied die Marienstraße - doch während auf der Pracht-Einkaufsmeile der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt der Handel auf hohem Niveau floriert, gibt es in den letzten Jahren im Zentrum der saarländischen Gemeinde nur in einem Bereich wachsende Zahlen: bei den leeren Geschäften.

"Als ich 1975 zum ersten Mal nach Quierschied kam, war das an einem Mittwochnachmittag. Und obwohl damals an diesem Tag viele Geschäfte geschlossen hatten, war die Marienstraße voll mit Menschen", erinnert sich Horst Stöhr, der bis 2005 eine Drogerie und Parfümerie betrieb, "der Einbruch kam, als man Mitte der 90er Jahre immer mehr die Autofahrer aus den Innenstädten vertrieb und damit das Einkaufen ‚auf der grünen Wiese' zusätzlich stärkte." Dabei sei die - noch heute viel diskutierte - Drehung der Fahrtrichtung in der wichtigsten Einkaufsstraße im Ort eigentlich zu spät gekommen. "Früher wussten die auswärtigen Kunden und Lieferanten fast nicht, wie sie in den Ort hineinkommen sollen", betont der 72-jährige Rentner.

Stöhr war über 20 Jahre lang Vorsitzender des Quierschieder Gewerbevereins. Mit dem heutigen 2. Vorsitzenden Edmund Koehl hat er sich auf Wunsch der Saarbrücker Zeitung auf einen Rundgang durch die Quierschieder Ortsmitte gemacht. Vorm Haus mit der Nummer 30 werden erste Erinnerungen wach.

"Damals war hier die Drogerie Hager. Daneben war das Spiel- und Schreibwarengeschäft Martin", erzählt Edmund Koehl, "Herr Martin war sehr aktiv, hat immer Spielzeugausstellungen und Messen organisiert." Die Drogerie ist zu einer Wohnung zurückgebaut, im Spielwarengeschäft sitzt heute ein Anwalt.

Ein paar Meter weiter stehen wir vor dem Postillion - einem Pizza-Imbiss. "Hier war früher ein Tante-Emma-Laden", sagt Koehl mit einem Lächeln, "die Inhaberin hieß wirklich Emma, und sie war ziemlich schwerhörig. Da gab es nicht nur Eier, Butter oder Käse, da gab es auch Schrauben und Nägel." Optik Reiter gehört in der Marienstraße ebenso zu den alteingesessenen Geschäften wie Elektro Raber. Nur die Älteren wissen, dass es dort früher Radio Dörr und davor eine Hauswirtschaftsschule gab. Wenige Schritte später kommt eine Passantin auf Horst Stöhr zu: "Ach Herr Stöhr, so ein schönes Geschäft wie Ihres, das fehlt uns heute." Stöhrs Laden ist seit zehn Jahren geschlossen, der Inhaber unvergessen. "Aber eine derartige Kundenbindung ist heute nur noch Nostalgie", sagt der frühere Geschäftsmann, "heute ist eher Geiz geil."

Doch auch der verspricht nicht immer geschäftlichen Erfolg, wie der leere Schlecker-Markt belegt. Dass Sparkasse und Volksbank zentral vertreten sind, sehen die Experten vom Gewerbeverein mit gemischten Gefühlen. "Diese Lagen sind richtige Filetstücke", sagt Koehl, "die wären auch von der Größe her sicher für den Handel interessant." Gastronomische Angebote wie das Café Götzinger, "im Volksmund hieß es ‚Café Genickschuss'", sagt Koehl - sind ebenso nicht mehr da wie das Kino, das Uhren- und Waffengeschäft Jakob oder das Bekleidungsgeschäft Vogelgesang. Die Bäckerei Ziegler versorgt heute mit Backwaren, bei NKD gibt es Kleidung.

Neu ist der "Schmetterlingsstengel", ein feiner kleiner Laden für Nähbedarf. In ihm aber den Hoffnungsträger für eine Trendwende in der Marienstraße zu sehen, hält Horst Stöhr für übertrieben. "Das Zentrum hat sich mit dem Netto-Markt verlagert. Schon die Ansiedlung des Wasgau-Verbrauchermarktes hat - so nötig er war - viel Kaufkraft aus der Ortsmitte abgezogen. Und jeder weitere Leerstand beeinflusst die umliegenden Geschäfte wegen mangelnder Frequenz negativ", sagt der erfahrene Einzelhändler und fordert ein professionelles Ortsmarketing: "Der Ort muss als gute Marke überörtlich bekannt werden. Aber kurzfristige Erfolge darf man da nicht erwarten. Es bedarf einer längerfristigen Strategie und der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger."

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