Von einem Tag zum anderen kriminalisiert

Überroth-Niederhofen · Auf der Flucht vor Krieg und Gewalt kommen zahlreiche Flüchtlinge im St. Wendeler Land an. Der Migrationsdienst der Caritas hat es überwiegend mit Menschen aus Syrien und Eritrea zu tun. In loser Folge beschäftigt sich die SZ mit dem Schicksal der Flüchtlinge. Am Internationalen Tag der Migranten starten wir mit Mohammed und Hussein aus Homs, die seit einem halben Jahr in Überroth wohnen.

 Von heute auf morgen ein Gefangener geworden. Wie diese Menschen hier verlor Mohammed A. seine Freiheit. Unschuldig, wie er beteuert. Archivfoto: Rainer Jensen/dpa

Von heute auf morgen ein Gefangener geworden. Wie diese Menschen hier verlor Mohammed A. seine Freiheit. Unschuldig, wie er beteuert. Archivfoto: Rainer Jensen/dpa

Plötzlich war er Terrorist. Mohammed A. verstand die Welt nicht mehr. 22 Jahre gab's keine Probleme in seiner Wohnung in Homs. In einem Viertel, "in dem Suniten und Aleviten friedlich zusammenlebten". Dann kam die Revolution. Plötzlich, so erzählt der 55-Jährige, habe das Militär die Aleviten mit Waffen ausgestattet, sein Nachbar habe ihn, den Suniten, ausspioniert, Berichte an den Geheimdienst weitergegeben. Von ihm kam die Auskunft: "Mohammed ist Terrorist."

Die Folge: Männer vom Militär kamen in seine Wohnung, nahmen ihn mit, brachten ihn ins Gefängnis. 20 Tage war er dort, wurde gefoltert. Heute kann Mohammed darüber sprechen. Er musste sich ausziehen. Mit Kupferdraht sei er geschlagen worden. "Ich habe heute noch Narben", erzählt er. Und weiter: Jeden Tag sei er geschlagen worden. Nur alle sechs oder sieben Stunden haben die Gefangenen zur Toilette gedurft. "Dort wurden mir Dinge unterstellt, die ich nicht getan hatte", sagt er, "und ich konnte nichts dagegen tun". Nach 20 Tagen wurde er in ein anderes Gefängnis gebracht. Dort gingen die Misshandlungen weiter. Jeden Tag Schläge. Leichen auf dem Flur. Tritte im Schlaf.

Als es vors Militärgericht musste, wusste Mohammed, "dass ich eine Straftat am Hals habe". Vor Gericht erfuhr er vom Vorwurf, aufs Militär geschossen, militärische Einrichtungen bombardiert zu haben. "Alles Dinge, die nicht stimmen, die mich aber für alle Ewigkeit ins Gefängnis bringen können", sagt er. Letztlich war er anderthalb Jahre eingesperrt. "Dass ich wieder rauskam, grenzt an ein Wunder."

Und das kam so: Weil auch Mohammeds Sohn Hussein A. von Soldaten geschlagen wurde, packte die Mutter ihre Tochter und die beiden Söhne ein und brachte sie nach Katar zu Verwandten. Zu Mohammed gab es keinen Kontakt, "wir wussten nicht, ob er noch am Leben ist", erzählt Hussein. Von den Emiraten aus schaltete die Mutter einen Anwalt ein und zahlte schließlich 20 000 Dollar. Mittlerweile hatte die Familie über andere Gefangene gehört, in welchem Gefängnis Mohammed war. Nach seiner Freilassung flüchtete er sofort in den Libanon und telefonierte erstmals wieder mit seiner Familie. Sie trafen sich dann im Libanon . Dazu Mohammed: "Es war ein schönes Gefühl, meine Familie wiederzusehen, da sind Tränen geflossen." Acht Monate blieben sie dort zusammen. Dann schafften es Mohammed und Hussein (der Rest der Familie blieb im Libanon ) über Algerien - getarnt als Touristen - nach Libyen. Für den Flug musste jedes Familienmitglied 4000 Euro zahlen. Dieses Geld, genau wie die 20 000 Dollar vorher, stammen von den Verwandten in Katar - Mohammed muss und will es zurückzahlen, sobald er Arbeit hat. In Libyen brachte sie ein Schmuggler über die Grenze. "Dort haben wir eine Woche auf das Schiff gewartet", sagt der 50-Jährige. Dieses Schiff sei acht auf 18 Meter groß gewesen. 400 Menschen seien darauf transportiert worden. Mohammed schildert die Situation: "Zwei Männer saßen auf meinen Beinen, zwei hingen auf meinem Rücken." 17 Stunden dauerte die Fahrt, "weil wir zunächst Richtung Tunesien statt Italien gefahren sind". Die Männer dachten nur: "Wenn wir es nach Italien schaffen, dann sind wir zufrieden."

Sie haben es geschafft. Drei Tage lang blieben sie in einem Camp in Italien, dann ging es mit dem Zug nach Deutschland. Mohammed wollte unbedingt hierher. Denn 1990 arbeitete er ein Jahr als Fliesenleger. Damals wohnte er in Überroth. Und nach einem kurzen Stopp im Auffanglager in Lebach, meinte es das Schicksal gut mit ihm: Er durfte wieder nach Überroth. "Dort anzukommen, war ein schönes Gefühl. Ich kenne noch immer einige Leute." Und er fügt hinzu: "Ich fühle mich sehr herzlich aufgenommen."

Die kleine Familie lebt derzeit in einer 90-Quadratmeter-Wohnung in Überroth und wartet auf die Familienzusammenführung. Alle sind zuversichtlich, dass der Rest der Familie - Mutter sowie der 15-jährige Sohn und die 24-jährige Tochter - bald nachkommt. Die Männer belegen einen Sprachkurs in St. Wendel und haben einen großen Wunsch: Arbeit finden. Mohammed hat zwar als Fliesenleger gearbeitet, er würde aber alles machen - "Hauptsache Arbeit". Sein 20-jähriger Sohn hat wegen der Flucht sein Abitur nicht machen können, obwohl er kurz davor gestanden habe. Er würde gern eine Lehre zum Friseur machen. Sie richten sich auf ein dauerhaftes Leben in Deutschland ein. Denn ihre Heimat haben sie verloren.

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