Stadtgeschichte zum Leben erwecken

St Wendel · Aufsehen erregte das Ritterturnier 2012 in St. Wendel. Denn das, was es zu sehen gab, war bis dahin einzigartig. Die Stadt ist rückblickend mehr als zufrieden mit der Veranstaltung. Und hat für nächstes Jahr etwas Neues in petto.

 Das Bosenbachstadion war 2012 Schauplatz des Ritterturniers. Archiv-Fotos: B&K

Das Bosenbachstadion war 2012 Schauplatz des Ritterturniers. Archiv-Fotos: B&K

St. Wendel , anno 1512: Maximilian I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, besucht die Stadt. St. Wendel , anno 2012: Um an dieses historische Ereignis zu erinnern, treffen sich in St. Wendel die weltbesten Ritter, das Bosenbachstadion verwandelt sich zu einem spätmittelalterlichen Lager mit Handwerkern, Söldnern, Adeligen. Alles zu Ehren des Kaisers, der seinerzeit fasziniert war von Ritterturnieren. Und so, wie es bei einem Turnier vor 500 Jahren wahrscheinlich zuging, so sollte es auch 2012 in St. Wendel zugehen, mit echten Kämpfen und authentischen Darstellern.

"Wir sind ein hohes finanzielles Risiko eingegangen, doch waren wir vom Konzept überzeugt. Im Nachhinein bin ich mehr als zufrieden", resümiert Thomas Wüst, Leiter des Amtes für Stadtmarketing in St. Wendel .

Dabei war zu Beginn noch keine Rede von einem Turnier. Zwar wollte die Stadt im Jubiläumsjahr an den Besuch des Kaisers erinnern, doch zunächst lediglich mit einer Ausstellung im Museum. "Wir arbeiteten bei der Vorbereitung der Ausstellung mit Alfred Geibig zusammen. Er hatte Ideen, wie das Jubiläum anders gefeiert werden könne. Daraus ist dann das Turnier entstanden," erzählt Wüst.

"Ich veranstalte schon seit vielen Jahren historische Events", sagt Geibig. Er ist Leiter der Abteilung für historische Waffen in der Kunstsammlung der Veste Coburg. Bei den Events - etwa historischem Fechten, Burgbelagerungen oder der Präsentation alter Handwerkskunst - gehe es ihm vor allem um eins: Es muss authentisch sein. "Solche Veranstaltungen sind die Fortsetzung der Museumsarbeit mit anderen Mitteln", fügt Geibig an. Denn Exponate, die im Museum stehen, könne der Besucher nicht im Einsatz sehen. Geibig: "Wenn er sie aber im Gebrauch sieht, werden diese Gegenstände zum Leben erweckt."

Realität vor 500 Jahren

Wie in St. Wendel : Ritter in glänzenden Rüstungen maßen sich im Lanzenbrechen und im Massenkampf zu Pferde . Keine Waffen und Rüstungen, die in Vitrinen verstauben. Dafür Hauen und Stechen auf höchstem Niveau, möglichst nah an der Realität - jener vor 500 Jahren. "Wir wollten etwas, was es so in unseren Tagen noch nicht gegeben hat", betont Wüst. Es sei, so der Amtsleiter weiter, keine der üblichen Stuntshows gewesen, die man auf Mittelaltermärkten und Sonstigem serviert bekomme: "Es wurde mit scharfen Waffen gekämpft. Die Akteure haben sich extra für St. Wendel mehrere Monate lang vorbereitet."

"Um unsere Ansprüche zu erfüllen, musste alles Stimmen, das gesamte Ambiente. Optisch und akustisch", sagt Geibig. Er achtete besonders darauf, dass die besten Gruppen, die die Zeit um 1500 repräsentieren, kamen: ob Fahnenschwenker aus Italien oder die Artillerie aus Bretten mit ihren ohrenbetäubenden Geschützen. Dennoch: Das Wichtigste waren die Ritter. Und hier sollten es auch die Besten sein. Geibig: "Es ist ein Hochleistungssport, die Akteure müssen sehr gute Reiter sein, sich in mittelalterlicher Waffentechnik auskennen." Schließlich fand man auf drei Kontinenten jene modernen Ritter, die sich in St. Wendel auf Zeitreise begaben.

Einer davon: der Niederländer Arne Koets. "Wir hatten in St. Wendel das erste Mal die Gelegenheit, Waffen, Rüstung und Techniken im richtigen Einsatz auszuprobieren. Dies hat uns viele Erkenntnisse gebracht", schwärmt Koets. Wie brechen die Lanzen, wenn mit vollem Galopp aufeinander zugeritten wird? Welchen Effekt hat ein Aufprall auf den Panzer? Wie ist es um die Beweglichkeit bestellt, wenn die volle Montur im Einsatz ist? Erfahrungen, die in St. Wendel gewonnen und genutzt wurden. Nicht nur in der historischen Forschung, sondern ebenso während der vielen Nachfolgeturniere, an denen auch Koets teilgenommen hat, sei es in Dänemark, Australien oder Moskau. "Wobei weder in Dänemark noch Australien das Niveau von St. Wendel erreicht wurde", sagt Koets. Die kleine Stadt im Saarland habe die Latte sehr hoch gelegt. Diese sei auch nicht von der Veranstaltung in Moskau gerissen worden. "Ich habe dort teilgenommen, allerdings war alles auf Russisch, daher weiß ich gar nicht, wie ich abgeschnitten habe. Doch einen Preis hat man mir in die Hand gedrückt", schmunzelt Koets.

Pferde beim Turnier

 Der Niederländer Arne Koets war bei dem St. Wendeler Turnier am Start.

Der Niederländer Arne Koets war bei dem St. Wendeler Turnier am Start.

 Gewandet wie vor 500 Jahren: Die Kurtisane von Venedig und ihr Gefolge im Heerlager.

Gewandet wie vor 500 Jahren: Die Kurtisane von Venedig und ihr Gefolge im Heerlager.

 In glänzenden Rüstungen ritten sie in die Arena in St. Wendel, um sich im Lanzenstechen zu messen: Joram van Essen, Dominic Sewell, Per Estein und Petter Ellingsen (von links).

In glänzenden Rüstungen ritten sie in die Arena in St. Wendel, um sich im Lanzenstechen zu messen: Joram van Essen, Dominic Sewell, Per Estein und Petter Ellingsen (von links).

 Ritter schlugen 2012 ihr Quartier in der Domstadt auf. Hier zu sehen: Petter Ellingson aus Norwegen.

Ritter schlugen 2012 ihr Quartier in der Domstadt auf. Hier zu sehen: Petter Ellingson aus Norwegen.

Die Fachwelt, jene, die sich mit dem Ritterwesen, mit der spätmittelalterlichen Zeit in Theorie und Praxis beschäftigt, geizte laut Geibig nicht mit Lob für das St. Wendeler Turnier. Kritik gab es hingegen von ganz anderer Stelle: Tierschützer waren um das Wohl der Pferde besorgt. Geibig: "Dies war unbegründet, denn der Schutz der Tiere stand an erster Stelle. Die Pferde werden selbstverständlich sorgfältig ausgebildet, zwischen Reiter und Tier besteht ein enges Vertrauensverhältnis." Um dies zu beweisen, sprach man während des Turniers mit den Bedenkenträgern, leistete Überzeugungsarbeit.

Apropos Pferde : Transport und Unterbringung waren keine unbedeutenden Kostenfaktoren. Hinzu kamen Ritter und Lager mit Schau- und Musikgruppen, geschmückter Tribüne und Turnierfeld, Söldner und Kanonen. Thomas Wüst: "Insgesamt kostete die Veranstaltung 440 000 Euro. Unterm Strich hatten wir ein Minus von 40 000 Euro." Ein Defizit, das zu verschmerzen sei. Denn, so Wüst weiter, das Turnier lockte zahlreiche TV-Sender an, die über das Spektakel berichteten: "Eine derartige mediale Präsenz kostet normalerweise viel Geld." Zufrieden ist Wüst auch mit der Besucherzahl: 12 000 Menschen kamen an den drei Turniertagen.

Diese Zuschauerzahl soll 2015 übertroffen werden. Denn dann wird das Bosenbachstadion an zwei Tagen Schauplatz einer weiteren Veranstaltung mit historischem Hintergrund sein - wenn es auch kein Ritterturnier sein wird. Wüst: "Wenn sich ein passender Anlass findet, kann ich mir vorstellen, dass wir auf dieser Schiene weitermachen. 2015 soll nicht das letzte Mal sein." Der Bezug zur Stadtgeschichte ist bei der für den Spätsommer geplanten Veranstaltung gegeben: 1522 belagerte und eroberte Franz von Sickingen, ein Zeitgenosse Maximilians I., St. Wendel . Auch mit schweren Geschützen. Daher wird es 2015 laut. Nachbauten von Kanonen aus verschiedenen historischen Epochen werden in der Kreisstadt donnern. An der Organisation ist erneut Geibig beteiligt: "Es wird keine dumpfe Ballerei. Zeigen wollen wir die breite Palette der Artillerie vom 14. bis zum 19. Jahrhundert." Wie bei den Rittern werde Geschichte erneut hautnah erlebbar. Museumsarbeit mit anderen Mitteln. Zudem soll es ein Heerlager geben und als Abendprogramm Auftritte von Musikgruppen der härteren Gangart. Wüst: "Die Eintrittspreise werden unter denen von 2012 liegen, denn da war für manchen die Schmerzgrenze erreicht." Ab Herbst soll die Werbung starten.

Übrigens: Maximilian I. und Franz von Sickingen kämpften einst gegeneinander. Bei einem Turnier in Wien brachen sie die Lanzen. Zwei historische Gestalten, die in der St. Wendeler Geschichte eine Rolle gespielt haben. Zwei Persönlichkeiten, an die die Stadt erinnert. Auf eine ganz besondere Art und Weise.

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