So werden Flüchtlingen aus anderen Kulturkreisen saarländische Fastnachtssitten erläutert

St Wendel · Polizei und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer arbeiten zusammen, was eine Aufklärungskampagne rund um Karneval betrifft. Denn enger Körperkontakt heißt nicht, dass alles erlaubt ist.

 Küsschen hier, Umarmung dort: Wie bringen wir Asylbewerbern rüber, dass dies zu Fastnacht nichts heißen muss? Symbolfoto: O. Berg/dpa

Küsschen hier, Umarmung dort: Wie bringen wir Asylbewerbern rüber, dass dies zu Fastnacht nichts heißen muss? Symbolfoto: O. Berg/dpa

Ausgelassenes Feiern zur Fastnacht - da prallen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Auch im St. Wendeler Land. Und aus Unwissenheit über hier gelebte Tradition mag dies unter Umständen zu tiefschürfenden Missverständnissen führen.

Denn mit der größeren Zahl an Flüchtlingen aus anderen außereuropäischen Regionen, wo Karneval weitgehend unbekannt ist, könnte laut Martin Walter ausgelassenes Feiern mit oftmals fehlendem körperlichen Abstand von Neuankömmlingen missgedeutet werden. Um dem vorzubeugen, kündigt der St. Wendeler Polizeichef an, haben seine Kollegen ein Infoblatt verfasst, das an Asylsuchende im Landkreis verteilt werden soll. Damit es auch jeder versteht, sollte es in bis zu zwölf Sprachen übersetzt werden. Neben Verhaltensregeln, die hier Aufgewachsenen allzu selbstverständlich erscheinen, weil mit der Tradition groß geworden, enthält es zudem Notrufnummern.

Unter anderem heißt es auf dem dreiseitigen Din-A-4-Wurfblatt: "An den Schwerpunkttagen zwischen 4.2.2016 (Fetter Donnerstag) und 10.2.2016 (Aschermittwoch) können Verhaltensweisen der feiernden Menschen sehr stark vom normalen Alltagsgeschehen abweichen." Das gelte für größere Veranstaltungen sowohl auf der Straße, als auch in Hallen. Währenddessen seien freizügige Umarmungen und Wangenküsse "nicht als Aufforderung zu einer länger- oder kurzfristigen (sexuellen) Beziehung zwischen Mann und Frau" zu interpretieren. Auch enger Körperkontakt in großen Menschenmassen "stellt keine Aufforderung zu irgendwelchen Beziehungen dar", heißt es weiter.

Sich zu verkleiden sei Brauch und gehöre zum friedlichen Fest. Damit will die Polizei der Annahme vorbeugen, dass mit der Maskerade Straftaten verschleiert werden sollen.

In Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern vor Ort sollen Neuankömmlinge somit über den Inhalt der Fastnacht aufgeklärt werden. Indes haben Ehrenamtler ein ähnliches Infoblatt auf den Weg gebracht, komprimierter auf einer Seite. Darauf ist kurz und knapp zu lesen: "Küsse und heiße Tanzbewegungen haben nichts zu bedeuten. Es ist einfach ein Spaß." Gleichzeitig wird vor Fehlverhalten im Zusammenhang mit Alkohol gewarnt: "Nicht alle Menschen können sich angemessen benehmen, wenn sie betrunken sind." Hier geht es also nicht allein um mögliche falsche Reaktionen seitens der Neuankömmlinge, denen der Brauch bislang unbekannt ist. Zum Abschluss in größerem Schriftzug: "Die wichtigste Regel: Nein heißt Nein!" Der Zettel endet ebenfalls mit der polizeilichen Notrufnummer.
Fabulöse NPD-Botschaft

Unterdessen kursiert per E-Mail eine fabulöse Nachricht der NPD . Dort werden deutschen Frauen skurrile Tipps gegeben, wie sie sich angeblich allesamt sexlüsternen Ausländern erwehren können. Eine dieser fragwürdigen Hilfestellungen: "Wir empfehlen zwar jeder Frau, immer eine Fleischwurst griffbereit in der Handtasche zu haben, aber an den Faschingstagen gilt es, das wahre Grauen in die Reihen der sexsüchtigen Islamisten zu tragen."

Dazu rät NPD-Funktionär Sascha Wagner, Masken von politischen Gegnern wie Claudia Roth (Bündnisgrüne) sowie von Bundeskanzlerin "Asylanten-Mutti Angela Merkel" (CDU ) zu tragen.

Meinung:
Anstandsregeln gelten für alle

Von SZ-RedakteurinMelanie Mai

Die Idee ist gut. Menschen, für die unser Kulturgut Fastnacht fremd ist, werden mit Flugzetteln informiert, sensibilisiert. Damit sie beim Anblick dessen, was ab Fetten Donnerstag hier los ist, nicht schockiert und überfordert sind. Und damit sie wissen, dass Freizügigkeit nicht gleich Freifahrtschein ist. Allerdings sollten sich das nicht nur die Neuen in unserem Land zu Herzen nehmen, sondern auch die, die mit Fastnacht und ihren Bräuchen aufgewachsen sind. Zu oft werden die tollen Tage genutzt, um gar nicht so tolle Sachen zu machen. Zu oft werden unter dem Deckmantel Fastnacht Regeln gebrochen, die außerhalb der Fünften Jahreszeit selbstverständlich eingehalten werden. Es ist eben Fastnacht.

Aber ist das alles tatsächlich Tradition, wie es in den Flugblättern heißt? Ist es Tradition der Fastnacht, zu küssen und zu flirten? Ging es nicht zu Anfang der Tradition um eine Feier vor der Fastenzeit? Wie viele, die dieser Tage kräftig feiern, fasten danach eigentlich noch? Und ging es den Narren ursprünglich nicht darum, der Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten?

Davon ist nicht viel übrig geblieben. Wäre es daher nicht an der Zeit, uns den Spiegel vorzuhalten? Vielleicht zeigt uns die Tatsache, dass solche Flugblätter für Flüchtlinge nötig zu sein scheinen, dass das alles gar nicht so normal ist, wie es uns im Flyer weisgemacht wird. Und dass sich vielleicht so mancher einheimische Fastnachtsbesucher etwas weniger Körperkontakt wünscht. Wildfremde, die einem einen Kuss aufdrücken, sind nicht bei jedem erwünscht. Denn Regeln gelten eben auch in den närrischen Tagen.

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