Einen Tick mehr für Deutschland

St Wendel · Bundestrainer sind wir derzeit ja alle ein bisschen. Wie aber sehen echte Trainer die Auftritte der DFB-Elf? Um das herauszufinden, schaut ihnen die SZ beim Zugucken über die Schulter. Dieses Mal in St. Wendel mit dem Deutsch-Italiener Giuseppe Nicastro, dem Jugendtrainer der SG St. Wendel.

 Zwei Herzen in der Brust: Der Deutsch-Italiener Giuseppe Nicastro war im EM-Viertelfinale hin- und hergerissen, wem er die Daumen drücken sollte. Für seine Frau Christiane und Sohn Giulio (neben ihm) sowie die Freunde war die Sache klarer. Doch auch sie waren am Schluss mit den Nerven am Ende. Foto: B&K

Zwei Herzen in der Brust: Der Deutsch-Italiener Giuseppe Nicastro war im EM-Viertelfinale hin- und hergerissen, wem er die Daumen drücken sollte. Für seine Frau Christiane und Sohn Giulio (neben ihm) sowie die Freunde war die Sache klarer. Doch auch sie waren am Schluss mit den Nerven am Ende. Foto: B&K

Foto: B&K

Im Wohnzimmer der Familie Nicastro in St. Wendel wird am Samstagabend beim EM-Viertelfinalspiel Deutschland gegen Italien gebangt und gelitten. Gestandene Männer stehen am Rande des Nervenzusammenbruchs - und jubeln am Ende über ein saarländisches Happy End, als Jonas Hector den insgesamt 18. Elfmeter zum Sieg versenkt.

Der Deutsch-Italiener Giuseppe Nicastro, Schiedsrichter und Jugendtrainer bei der SG St. Wendel , hat Freunde und Nachbarn eingeladen. "Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust", sagt der 44-Jährige, der in Deutschland geboren ist, dessen Eltern aber aus Sizilien stammen. Seine Ehefrau Christiane und Sohn Giulio tragen Deutschland-Trikots, er ein Shirt und die Kappe der Squadra Azzurra. Beim Mitsingen beider Nationalhymnen wirkt Giuseppe während der deutschen Hymne aber wesentlich textsicherer. "So viel zum Thema Heimat. Heimat ist da, wo dein Herz schlägt", sagt er und gibt zu: Einen Tick mehr sei er für Deutschland. Trotzdem wolle er gegenüber seinen Freunden den Gegenpol bilden. Denn am Montag hatte er sich mit zwei Onkel in Paris den 2:0-Achtelfinalsieg der Italiener gegen Spanien angesehen. "So eine grandiose Atmosphäre habe ich noch nie erlebt. Nach dem Spiel haben Spanier mit uns gefeiert", berichtet er.

Heute kann er die Startelf von Bundestrainer Joachim Löw nicht nachvollziehen. "Wie vor vier Jahren passt er sich dem Gegner an", wettert der lizenzierte Jugendtrainer. TV-Experte Mehmet Scholl gibt ihm nach dem Spiel recht.

Nach 17 Minuten mit zähem Ballgeschiebe setzt Nicastro ein Zeichen und schenkt seinen Gästen hausgemachten Eierlikör ein. "Es tut sich ja nix. Das Spiel geht sowieso ins Elfmeterschießen , und das gewinnt Deutschland", lautet seine Prophezeiung.

Nach gut einer Stunde reißt Mesut Özil mit dem deutschen Führungstor erstmals alle von den Sitzen. "Super, wie Mario Gomez vorher den Ball an der Außenlinie mitgenommen hat, obwohl er keine so gute Technik hat", lobt Nicastro. Italiens Ausgleich durch den Handelfmeter bezeichnet er als überaus glücklich, denn Deutschland macht beim Rasenschach für ihn die besseren Züge.

"Italien ist platt"

Ingo Spaniol, der vor 20 Jahren den letzten deutschen EM-Triumph in England live miterlebt hat, plädiert vor Beginn der Verlängerung für die Wiedereinführung des Golden Goals. "Italien ist platt", stellte Nicastro fest. Am Ende musste, wie er vorausgesagt hatte, das Elfmeterschießen herhalten. "Papa, bist Du für Deutschland?", will Sohnemann und Jugendkicker Giulio davor noch schnell wissen. Der Papa bejaht. Es folgt eine Nervenschlacht, einige der Fußballfreunde wollen nicht mehr hinsehen, als Bastian Schweinsteiger den Matchball über das Tor jagt. Und so geht es bis zum insgesamt neunten Schützen jeder Mannschaft weiter. Dann scheitert Matteo Darmian mit seinem Elfmeter an Manuel Neuer , und Jonas Hector aus Auersmacher schießt die DFB-Elf ins Halbfinale. Luftsprünge, Riesenjubel in der Casa Nicastro. "Am Ende des Tages ist das klar verdient", sagt der Hausherr kurz nach Mitternacht. Wer der nächste Gegner wird? Wie auch Spaniol rechnet Nicastro mit Gastgeber Frankreich. Und zumindest dann muss er sich auch nicht überlegen, für wen sein Herz schlägt.

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