Wenn das Geld fürs Nötigste fehlt

St Wendel · Rentner, alleinerziehende Mütter, Flüchtlinge: 1400 Menschen versorgt die St. Wendeler Tafel. Der Andrang ist so groß, dass eine Warteliste eingeführt wurde. Leiterin Christina Müller würde gerne alle aufnehmen, doch dem Angebot sind Grenzen gesetzt.

 Tasche auf, Lebensmittel rein: Viele wollen den Besuch der Tafel schnell hinter sich bringen. Foto: dpa

Tasche auf, Lebensmittel rein: Viele wollen den Besuch der Tafel schnell hinter sich bringen. Foto: dpa

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Die ältere Dame mit Pudelmütze kramt Plätzchen aus ihrer Jackentasche und legt sie auf die abgenutzte Theke. Eins für jeden, sie haben die Form einer Walnuss. "Sind vom Baum gefallen", sagt sie und lacht. Ein kleines Dankeschön für die Helfer der St. Wendeler Tafel. Es ist ein ganz normaler Ausgabetag. Drei gibt es pro Woche, einen nur für Flüchtlinge . Die Regale und Klappkisten sind gut gefüllt. Früh am Morgen haben die Helfer mit Lieferwagen die Läden abgeklappert und die übrig gebliebenen Lebensmittel eingesammelt. Unzählige Kisten haben sie gestemmt, es ist eine körperlich anstrengende Arbeit, die die 20 Ehrenamtler und zehn Maßnahmejobber leisten.

Jetzt steht alles bereit für 130 Familien, die an diesem Tag kommen. An mehreren Stationen erhalten sie frische Ware, Gemüse, Obst und Brot. Es läuft wie am Fließband, die Hände der Helfer fliegen nur so. Jeder bekommt eine Ration auf die Theke gelegt. Eine Mutter mit halbwüchsigem Sohn sieht die Putenwurst, Tortellini und das Thai-Fertiggericht, die die Helfer vor ihr stapeln, skeptisch an, lässt das meiste liegen. Doch die Mehrheit ist nicht wählerisch. Die nächste Kundin hält ihre Tragetüte weit auf: "Alles rein, alles rein", sagt sie und strahlt. Es sind viele Ältere, deren Rente nicht reicht, aber auch junge Mütter , sorgfältig geschminkt, die Kinder fest an der Hand.

Christina Müller von der Caritas leitet die St. Wendeler Tafel und hat sich in den vergangenen Wochen ein bisschen über die Presseberichte geärgert, in denen es hieß, die Tafeln stießen an ihre Grenzen. Es stimmt natürlich. Immer mehr Menschen sind auf die Tafeln angewiesen. Seit der Einführung von Hartz IV steige die Zahl an, sagt sie. Mit der Flüchtlingskrise wurde der Andrang dann immens. "Uns wurde in der Presse ein bisschen der Schwarze Peter zugeschoben - als würden wir nicht genug tun." Doch es gebe nun mal Grenzen. "Wir holen alle Lebensmittel ab, die wir kriegen können. Aber es werden ja nicht mehr." Und selbst wenn, auch der Platz im Kühlhaus und die Kraft der Helfer ist begrenzt.

Eine ältere Dame kramt eine sorgfältig zusammengefaltete, abgegrabbelte Aldi-Tüte aus ihrem Trolley: "Han er Sahne do?" Nein, Sahne gibt's heute nicht. Auch die Zitronen sind schnell weg. Nur das Zitronengras bleibt liegen, für so ein Chichi hat hier keiner einen Sinn. Es werden nicht viele Worte gewechselt. Ab und zu ein Lächeln, ein gemurmeltes "Danke", viele wollen nur schnell wieder raus. Niemand geht gerne zur Tafel. Janine Peter (Name geändert) ist wütend, dass sie mit 19 Jahren schon darauf angewiesen ist. Ihre Lippen sind in knalligem Pink geschminkt, ihr Nasenpiercing wackelt beim Reden: "Es ist traurig, aber ohne die Tafeln würden wir auf dem Zahnfleisch gehen." Manchmal sei es am Ende eines Monats schwierig, nur die zwei Euro für die Tafel zusammenzukratzen.

Mit den Kunden, die schon lange kommen, wird auch mal ein Schwätzchen gehalten. Eine Frau in Funktionsjacke preist ihr Rezept für Apfelbrot an: "Schmeckt saulecker!" Hinter ihr staut es sich, eine junge Frau mit Kopftuch schiebt ihr dezent, aber unmissverständlich den Trolley an die Waden. Nur einmal werden die Helfer ungehalten, als eine Frau Mandarinen aus der Obstkiste nimmt, die schon für den Nächsten bestimmt ist. "Wenn Sie noch welche wollen, sagen Sie's", schimpft eine Helferin. Die Frau wird rot und nimmt verlegen die zusätzlichen Früchte entgegen.

 Roland Best

Roland Best

Foto: Jung
 Frank Paqué

Frank Paqué

Foto: privat
 Wolfgang Edlinger

Wolfgang Edlinger

Foto: Jungfleisch

1400 Menschen versorgt die St. Wendeler Tafel. Täglich melden sich neue an. Weil sie im Moment niemanden mehr aufnehmen können, gibt es jetzt eine Warteliste. "Ich fände es schön, wenn wir alle aufnehmen könnten, aber das ist einfach nicht leistbar", sagt Müller. Und eigentlich sei das ja auch nicht Aufgabe der Tafel: "Das Kernproblem muss die Politik lösen."

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