Willkommen in Marpingen

Marpingen · Seit Oktober 2014 werden Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak in saarländischen Kommunen untergebracht. 55 von ihnen leben zurzeit in der Gemeinde Marpingen. Ehrenamtliche Helfer setzen sich dort mit Herzblut für die Neuankömmlinge ein.

 Die syrischen Flüchtlinge Christina Tatar, Sawsan Barhamji und Nariman Aladas (v.l.n.r.) lernen in Marpingen Deutsch. Reka Klein kontrolliert ihre Aufgaben. Foto: Oliver Dietze

Die syrischen Flüchtlinge Christina Tatar, Sawsan Barhamji und Nariman Aladas (v.l.n.r.) lernen in Marpingen Deutsch. Reka Klein kontrolliert ihre Aufgaben. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Wenn die beiden Söhne von Walaa und Amer Al Kalish Flugzeuge sehen, beginnen sie zu zittern. In ihrem noch kurzen Leben haben sie nichts außer dem Krieg erlebt und kennen Flugzeuge nur als Überbringer einer tödlichen Fracht. Vor Bomben und Granaten flüchtete die Familie Al Kalish aus Syrien. Ihre Habe, ihre Freunde und Verwandten, ihre Heimat, ihre ganze Existenz mussten sie zurücklassen. Sie flüchtete durch Gebirge, Wüsten und das Mittelmeer, ging durch die Hände von Schleppern, Schleusern und Behörden. Seit dem 27. April fühlen sich die Al Kalishs wieder sicher. An diesem Tag durften die vier Syrer die Landesaufnahmestelle in Lebach verlassen und zogen in eine Wohnung in Marpingen .

Heute spielen die beiden Jungs zwischen den Stühlen im gut gefüllten Jugendcafé im Marpinger Ortskern. Rund um die Spielenden hängen 30 Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak an den Lippen einer jungen Frau. "Ich gehe, du gehst, sie geht!" Laut konjugiert Reka Klein wichtige deutsche Verben durch. "Jetzt du, Walaa", fordert Klein die 25-jährige Syrerin auf. Etwas schüchtern aber korrekt antwortet Walaa Al Kalish auf die Fragen ihrer Lehrerin. "Super! Richtig gut", lobt Klein.

Reka Klein und zwei weitere Lehrerinnen engagieren sich für das "Netzwerk für Flüchtlinge Marpingen ". Eine Initiative ehrenamtlicher Helfer, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Neuankömmlinge in ihrer Kommune zu unterstützen. Dazu gehören auch drei Deutschkurse pro Woche. "Das größte Problem der Flüchtlinge ist die Sprachbarriere", sagt Klein. "Viele sprechen ausschließlich Arabisch und können auch unsere Schrift nicht lesen." Einen Anspruch auf einen staatlichen Sprachkurs haben die Asylbewerber noch nicht. Ohne Hilfe könnten sie sich in ihrer neuen Umgebung nicht verständigen, nicht mit Behörden kommunizieren. Also springen in Marpingen die Ehrenamtler in die Bresche und kümmern sich um die 55 Flüchtlinge in der Gemeinde. Reka Klein, gelernte Ergotherapeutin, unterrichtet mit Begeisterung. Immer wieder motiviert sie ihre bunt zusammengewürfelte Gruppe. Jesiden aus dem Irak lernen und lachen in Marpingen gemeinsam mit Muslimen und Christen aus Syrien. Ältere Männer sitzen neben jungen Frauen mit rot gefärbten Haaren und solchen mit Kopftuch.

Amer Al Kalish, seine Frau Walaa und die beiden Söhne sind neu in Marpingen . Doch sie sind nicht allein. Schon bei ihrer Ankunft aus der Landesaufnahmestelle wurden sie erwartet. Christa und Josef Staub standen schon am Marpinger Rathaus bereit. Das Ehepaar gehört zu den 15 Paten des Netzwerks für Flüchtlinge . "Wir helfen der Familie mit der Post, haben ihr ein Bankkonto eingerichtet und geholfen, die Kinder im Kindergarten anzumelden", erklärt Christa Staub. Die ehrenamtlichen Paten sind bei Behördengängen dabei und helfen überall, wo es hakt. Ein Kühlschrank oder ein Fahrrad muss her? Die Paten fragen in ihrem Umfeld nach Spenden. Eine Behörde schickt einen Antrag mit der Post? Die Freiwilligen helfen mit der Übersetzung und machen sich im Internet schlau. "Ich habe in den letzten Monaten viel über unsere eigenen Sozial- und Asylgesetze gelernt", sagt Josef Staub. Seine Frau sieht die Begegnung mit der Familie Al Kalish als Bereicherung. "Wir bekommen sehr viel Herzlichkeit zurück", sagt sie.

Mit allem hat Amer Al Kalish gerechnet, aber nicht mit so viel Hilfsbereitschaft. "Wir konnten es nicht glauben, am ersten Tag hier hat uns unsere Nachbarin einen Kuchen vorbei gebracht. Die Menschen hier sind großartig, freundlich und sehr offen", erzählt der 33-jährige Syrer. Die Familie ist auch froh, dass sie nicht lange in Lebach bleiben musste. "Seit wir in Marpingen sind, haben wir das erste Mal seit unserer Flucht endlich wieder Privatsphäre", sagt Walaa Al Kalish. Auch bei ihren Kindern bemerkt die 25-Jährige eine Veränderung: "Sie werden die Ereignisse in Syrien und während der Flucht nie vergessen. In den letzen Monaten haben sie kaum noch geredet. Aber seit wir hier sind, hört man sie endlich wieder lachen."

Kathrin Rauber ist stolz auf die Arbeit der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer. Die Sozialarbeiterin ist eigentlich bei der Gemeinde für die Kinder- und Jugendarbeit zuständig. Doch seit Anfang des Jahres organisiert sie zusammen mit ihrer Kollegin Angela Ames ehrenamtlich das Netzwerk für Flüchtlinge Marpingen . Sie sucht nach Paten, leitet diese an, organisiert Sachspenden und bietet Sprechstunden für Flüchtlinge und Helfer an. "Wir wollen, dass die Menschen hier gut ankommen und ihnen auch etwas bieten. Sie sollen ins Leben im Ort integriert werden." Doch Rauber und ihre Kollegin arbeiten am Limit. Viel Freizeit bleibt ihnen nicht.

Auch die Verwaltung zeigte sich zunächst überfordert mit den Flüchtlingen. Diese sprachen kein Deutsch und in den Ämtern konnte niemand Arabisch. Übersetzer gab es nicht. Nach Wochen voller Probleme und Missverständnisse entwarf Rauber zusammen mit einem Arabisch sprechenden Arzt Übersetzungslisten für Ämter und Paten. Außerdem gibt es nun Info-Material für die Flüchtlinge . "Dort steht alles drin: vom Busfahrplan bis zur ordentlichen deutschen Mülltrennung", sagt die Sozialarbeiterin schmunzelnd.

Die Familie Al Kalish ist froh, in Marpingen ein neues Zuhause gefunden zu haben. "Wir sind in Sicherheit. Hier können wir nachts schlafen, ohne uns Sorgen um Bomben zu machen", sagt Walaa Al Kalish.

Zum Thema:

Auf einen BlickIm ganzen Saarland haben sich Initiativen gebildet, in denen Ehrenamtler Flüchtlingen helfen. Eine Übersicht bietet die Landesregierung im Internet an. Dort sind auch die Kontakte der einzelnen Gruppen hinterlegt. Wer helfen möchte, kann sich direkt an die lokalen Netzwerke oder die Cartiasverbände der Landkreise wenden. fresaarland.de/123184.htm

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