Plötzlich saß Krämer allein am Büchertisch

St Ingbert · Ein Foto, das den St. Ingberter Ehrenbürger und Heimatforscher Professor Wolfgang Krämer im von-der-Leyen-Archiv zeigt, gab den Anstoß: Die St. Ingberter Historikerin Heidemarie Ertle hat nachgeforscht, warum Krämers Kollege Hermann Peter Barth aus dem Bild retuschiert wurde.

Heimatforscher sind ruhige, besonnene Menschen, den Blick gerne in eine historische Schrift gesenkt. So sollte man meinen. Dass es aber auch ganz anders gehen kann, zeigt die Geschichte zweier St. Ingberter: Professor Wolfgang Krämer und Hermann Peter Barth. In ihrem historischen Interesse Brüder im Geiste, sind diese beiden Männer in den 1950er Jahren heftig aneinandergeraten - und haben sich, nach Auseinandersetzungen vor Gericht, nie wieder versöhnt. Heidemarie Ertle - die St. Ingberterin ist von Hause aus Wirtschaftshistorikerin - hat jetzt zur Freude von Stadtarchivar Dieter Wirth diesen Historikerstreit , dessen Details im Dunkeln lagen, durchleuchtet. Jüngst hatte Wirth nämlich der Öffentlichkeit einen Nachlass-Fund des St. Ingberter Ehrenbürgers Wolfgang Krämer präsentiert. Die SZ schrieb darüber und veröffentlichte ein altes Bild, das Krämer im von-der-Leyen-Archiv im bayrischen Waal zeigt. Doch dieses Foto hat seine Tücken. Es gibt davon zwei Versionen. Die eine zeigt Krämer alleine, die Stühle im Hintergrund sind leer. Die zweite Version - und dies ist das Original - zeigt dem Betrachter im hinteren Teil des Raumes noch einen anderen Mann über Schriften gebeugt: Hermann Peter Barth. Mit anderen Worten: Barth war aus der einen Version retuschiert worden.

Warum? Heidemarie Ertle hat dazu über Wochen geforscht, vorwiegend im Landesarchiv in Saarbrücken. Sie setzt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg an. Die Zeiten waren unruhig, dem Saarland stand die Abstimmung über das Saar-Statut bevor. Welchen Weg das kleine Land einschlagen sollte, führte zu erbitterten Kontroversen - und machte vor Heimatforschern nicht halt. Neben Krämer und Barth ist noch ein dritter Name wichtig: der des damaligen Landesarchivars, Walter Lauer. Der war Geschäftsführer und stellvertretender Vorsitzender des gerade wieder zugelassenen Historischen Vereins.

"Krämer und Barth kannten sich seit 1949", sagt Ertle. Barth gehörte zum erweiterten Vorstand des Historischen Vereins. Den Vortrag auf der ersten Arbeitssitzung des Vereins in St. Ingbert habe Krämer gehalten. Der war seit 1948 Ehrenbürger St. Ingberts und wurde von Barth, berichtet Ertle, als Ehrenmitglied des Historischen Vereins vorgeschlagen und auch gewählt. Seit 1951 besuchte Barth regelmäßig das von Krämer erschlossene Archiv in Waal . Bis dahin ist also alles gut. Ärger gibt es in der Folge aber zwischen Lauer und Barth. Barth sah in Lauer einen Spion, der für Frankreich arbeitete. Tatsächlich, so Ertle, muss Lauer so etwas wie ein Doppelagent gewesen sein, der für Deutschland und für Frankreich arbeitete.

Richtig kritisch wurde es nach ihren Erkenntnissen, als Barth im April 1955 einen "Verein für Saarpfälzische Geschichts- und Volksforschung" gründete. Krämer habe davon aus der Zeitung erfahren. Ertle: "Er fühlte sich übergangen und fürchtete eine Schädigung des Historischen Vereins, der gerade ein Sonderheft zu seinem 70. Geburtstag vorbereitete."

Es gab regen Schriftverkehr. Zwar hätten sich Krämer und Barth zunächst noch ihre Wertschätzung ausgesprochen, doch das habe sich schlagartig geändert, als Barth den eigentlichen Grund für die Vereinsgründung nannte. Ertle zitiert aus einem Brief von Barth: "Mit Menschen (gemeint ist Lauer), die nach außen ein Deutschtum an den Tag legen und andererseits aufgrund dieses Benehmens Material erhalten und es der Gegenseite (gemeint ist Frankreich ) in die Hand spielen, kann und werde ich nie zusammenarbeiten." Krämer steht mit Lauer in engem Kontakt, der verantwortlich für die Herausgabe der Festschrift zu seinem 70. Geburtstag ist. Barth vermutet, Lauer habe ihn aus Rache aus der Fotografie retuschieren lassen, nachdem Barth ihn im Verein öffentlich der Spionage bezichtigte. Zudem gibt es Streit um das Eigentumsrecht an diesem und weiteren Fotos. Im späteren Prozess Barth/Lauer wird Barth das Urheberrecht zweifelsfrei zugesprochen.

Die Retusche trifft Barth. Ertle: "Wieder werden Briefe geschrieben, die Formulierungen nehmen an Schärfe zu, Krämer glaubt sich persönlich angegriffen. Vorwürfe werden zu Beleidigungen. Von Spitzeldiensten für die Sureté ist die Rede, von Deutschtümelei und Liebesdienerei dem Fürsten von der Leyen gegenüber." Es kommt zum Beleidigungs-Prozess Barth/Krämer. Nach den Recherchen der St. Ingberter Historikerin ging der zunächst 1957 zugunsten Barths aus. 1960 neu aufgerollt jedoch zugunsten Krämers, wobei dazu nur Krämers Unterlagen Auskunft geben.

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