Streit um Zahnpflege in Kitas

Wallerfangen · Zähneputzen ist eine freiwillige Leistung der Kitas – in 40 Prozent der Einrichtungen wird nicht geputzt. Wie sinnvoll ist das? Die Zahnärztekammer des Saarlandes hat eine klare Meinung dazu.

Die Zahnpasta klebt überall, beschmiert Spiegel und Boden, einige Kinder schrubben mit ihren Zahnbürsten in der Toilette, manche Bürste steckt im fremden Mund. Einer Rasselbande in einer Kita mit 75 Kindern beim Zähneputzen zu helfen, sei für Erzieherinnen nicht leistbar und das Putzen so nicht effektiv gewesen, schildert die Leiterin der Kita Wallerfangen-Ittersdorf, Babette Stiefel-Radmann, das tägliche Chaos. Nach Rücksprache mit der Gemeinde als Kita-Träger, dem Gesundheitsamt und einem Zahnarzt teilte die Kita den Eltern daher im November in einem Brief mit: "Aus organisatorischen und hygienischen Gründen werden wir in der Kita das Zähneputzen einstellen." Viele Kitas verzichteten deswegen auf das Zähneputzen. Stiefel-Radmann betont: "Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, dass in einer Kita die Zähne geputzt werden müssen." Das bestätigt das Gesundheitsministerium auf SZ-Anfrage. Es gebe lediglich Hygienevorschriften für die Einrichtungen, die putzen.

Doch die Entscheidung stößt bei Stefan Ertler nicht auf Zustimmung. Der Vater möchte, dass sich seine sechsjährige Tochter Catalina weiter nach dem Mittagessen die Zähne putzen darf - so wie sie es zuhause lernt. Doch als sie sich die Zähne putzen wollte, sei ihr das von den Erzieherinnen verboten worden. "Ich akzeptiere, dass das Zähneputzen eine freiwillige Leistung der Kita ist. Aber warum wird es einem Vorschulkind, das dafür keine Hilfe braucht, verboten?", fragt er.

Eine Ausnahme möchte die Kita nicht gewähren. "Das ist in einer Einrichtung unserer Größenordnung nicht möglich. Es kann hier nicht jedes Kind machen, was es will. Es gibt bestimmte Regeln, an die man sich halten muss", sagt Stiefel-Radmann, "das ist keine Willkür. Zähneputzen gehört in erster Linie ins Elternhaus ." Bislang hätten sich nur zwei Eltern beschwert.

Das will Ertler nicht akzeptieren: "Regeln zu befolgen, weil es Regeln sind, ist preußischer Kadavergehorsam und gegen jede Vernunft gerichtet." Der Vater machte das Angebot, für alle Kinder ein ganzes Jahr lang Einwegzahnbürsten zu spendieren. Doch die Kita ist dagegen: Das Zähneputzen nehme viel Zeit in Anspruch, die man lieber in Projekte wie Französisch, Bewegung und Naturerfahrung stecke. "Das wären über 200 Zahnbürsten in der Woche, das ist nicht die Umweltfreundlichkeit, zu der wir die Kinder erziehen wollen", sagt auch Wallerfangens Bürgermeister Günter Zahn (SPD ), an den sich Ertler gewandt hat. Zahn stellt sich hinter die Entscheidung der Kita. "Einzelregelungen sind nicht möglich, dann kommen die nächsten Eltern mit einer anderen Forderung und dann die nächsten", sagt er.

"Hätten wir Kinder mit über 80 Prozent Karies und hier ein akutes Gesundheitsproblem, würden wir das Zähneputzen zu einem Projekt machen und auf andere Angebote verzichten", sagt die Leiterin. Der Patenzahnarzt, der die Kita jährlich besucht, stellt den Ittersdorfer Kindern ein gutes Zeugnis aus. Er rät davon ab, direkt nach dem Mittagessen die Zähne zu putzen. Da das Essen in der Regel säurehaltige Lebensmittel enthalte, könne dies zu einem erhöhten Abrieb von Zahnschmelz führen. Mindestens eine Stunde solle gewartet werden. Da die Kinder jedoch etwa anderthalb Stunden später einen säurehaltigen Nachtisch erhalten, hält er das Zähneputzen in der Zeit nicht für sinnvoll.

Die Zahnärztekammer des Saarlandes spricht sich hingegen für das Zähneputzen in Kitas aus und verteilt hierfür Zahncreme und Becher. "Man sollte nach dem Essen die Zähne putzen, das ist eine Binsenweisheit", sagt der Vorsitzende Dr. Hans-Joachim Lellig. Der Hinweis, nach dem Verzehr von säurehaltigen Speisen mit dem Putzen zu warten, gelte inzwischen nur noch für Erwachsene, nicht aber für Kinder. Lellig sieht bei den Kitas einen Erziehungsauftrag zum Zähneputzen, der nicht in jedem Elternhaus wahrgenommen werde. Die Zahnärzte hätten noch viel Arbeit: "Der Statistik zufolge werden nur in 60 Prozent der Kitas die Zähne geputzt."

Stefan Ertler hat sich an das Landesjugendamt gewandt. Die Entscheidung, wie eigenständig Kinder handeln dürfen und ob eine Einzelfallregelung für seine Tochter möglich ist, liege beim Träger, heißt es dort.

"Ich bin über Monate den offiziellen Dienstweg gegangen und wurde praktisch im Kreis geschickt. Hier wiehert der Amtsschimmel", findet Ertler. "Kinder dürfen sich alleine die Hände waschen und aufs Klo gehen, aber nicht Zähneputzen?" Notfalls will er sogar klagen. Denn auch wenn Catalina in diesem Jahr eingeschult wird - seine zweijährige Tochter soll weiterhin die Kita Ittersdorf besuchen: "Die Kita ist klasse. Die Erzieherinnen sind super und machen tolle Angebote. Da lasse ich nichts darauf kommen."

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