„Wadgassen, das Grab unserer Jugend“

Wadgassen · Rund 500 meist 14- und 15-Jährige hoben ab September 1944 Gräben gegen anrückende US-Panzer aus. Die „Schanzen-Buben“ aus Franken hinterließen in einem ihrer Quartiere, der Schule in Wadgassen, kleine Graffiti. Durch Zufall wurden sie jetzt entdeckt – im letzten Moment.

 Reiner Meilgen zeigt die Inschrift mit der Heimatbezeichnung „Südmainfranken Bann 334“. Fotos: Hartmann Jenal

Reiner Meilgen zeigt die Inschrift mit der Heimatbezeichnung „Südmainfranken Bann 334“. Fotos: Hartmann Jenal

 Beklemmend: Im Dachgeschoss hat sich seit 1944 wohl nicht viel verändert.

Beklemmend: Im Dachgeschoss hat sich seit 1944 wohl nicht viel verändert.

 „Noch in dieser Woche“ hat ein 14- oder 15-Jähriger Ende 1944 geschrieben, eine andere Hand setzte fort.: „Geht's der Heimat zu“.

„Noch in dieser Woche“ hat ein 14- oder 15-Jähriger Ende 1944 geschrieben, eine andere Hand setzte fort.: „Geht's der Heimat zu“.

Es muss sehr ungemütlich gewesen sein für die 14- bis 16-jährigen Jungs aus der Gegend um Würzburg, die von September bis Ende November 1944 unterm Dach der Abteischule in Wadgassen einquartiert waren. Panzergräben ausheben war ihr Auftrag am "Westwall", um die Amerikaner aufzuhalten. Sie gehörten zu 500 Jugendlichen, die dafür abkommandiert waren. Die Gruppe hauste in Dachstuben, ohne Möbel, kaum sanitäre Anlagen, kaum etwas zu essen.

Sie hielten die Amerikaner natürlich nicht auf, und nach dem Krieg blieb ihnen nur die Erinnerung. Jetzt aber tauchten doch noch Spuren dieser "Schanzbuben" auf.

Denn die Stuben gibt es noch, die alte Tapete hängt in Fetzen runter. Ganz am Ende des Ganges haben die Jungs in zwei Räumen ihre Namen und ein paar Sprüche in den grauen Gips geritzt. Das wusste niemand mehr. Die Dachkammern sind seit Jahrzehnten unbenutzt. Im Zuge einer großen Sanierung werden sie wohl niedergerissen.

Es war reiner Zufall, dass Reiner Meilgen, Mitglied im Verein für kulturelle und historische Arbeit im Bisttal, einen Anruf bei Frank Villmen im Kulturamt der Gemeinde Wadgassen mitkriegte. Reinhard Leipold aus dem fränkischen Thüngersheim wollte wissen, ob in der Gemeinde noch etwas von der Unterkunft der Schanzen-Buben bekannt sei. Völlig unbekannt, antwortete Villmen dem Franken, der seine Informationen von einem Stammtisch der früheren Schanzen-Buben hatte. Meilgen ließ sich mit Leipold verbinden. Seine Neugier war geweckt. Er wusste, welche Schule gemeint war: Schließlich hat er dort auch mal gesessen. "Gleich neben unserer Aula soll die Unterkunft gewesen sein." Also ging er hin, schaute einfach mal nach - und entdeckte die Schriftzüge. "Es sind ganz besondere Zeitdokumente."

Theo Eitel, liest man da, Michael Hermann, Wallrapp Wilhelm, und "Südmainfranken Bann 334, Stamm III-IV". Kaum noch lesbare Sätze mit weißer Tünche geschrieben: "Wir schanzen für die Heimat" oder "Kampf ist unsere Parole", "Es leben die Soldaten". Einer schrieb: "Mainfranken, ich will dich lieben bis in den Tod", andere kratzten Sätze ein wie: "Westwallschipper 1944" oder "Abfahrt am 18. 10 zur Heimat". Einer ritzte über einem Türsturz ein: "Wadgassen , das Grab unserer Jugend ".

Letzterer Satz steht auf einem kompakten Gipsstück, das sich vielleicht lösen lässt, um es zu erhalten. Die anderen Inschriften werden sich wohl kaum erhalten lassen, vermuten die Heimathistoriker Patrik Feltes und Meilgen. Feltes und Bürgermeister Sebastian Greiber erwägen, Vertreter des Stammtisches auf einen Besuch einzuladen - solange die kleinen Inschriften noch an Ort und Stelle sind. Die beklemmende Atmosphäre unter dem Dach, die Geschichte erfühlen lassen kann, die wird auf jeden Fall vor der Dachdämmung kapitulieren.

Einer der Jungen, Hermann Geisel aus Randersacker , erinnerte sich in der Zeitung "Main-Post" nicht nur an den ständigen Regen im Herbst 44. Auch daran, dass er ein paar Tage Knast bekam für seine bittere Antwort auf die Frage, wie lange diese Panzergräben die US-Panzer aufhalten würden: "61 Minuten. Eine Minute brauchen die Amis über den Graben und 60 Minuten lachen sie sich kaputt."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort