Wo Menschen eigene Welt haben

Saarwellingen · Im Kulturtreff Altes Rathaus in Saarwellingen zeigen Hilla Koch-Neumann Porträtplastiken und Stelen und Vera Loos Gemälde unter dem Titel „Menschliche Verlorenheit“. Zur Ausstellungseröffnung am Sonntagmorgen fanden sich ungewöhnlich viele Besucher ein.

 Vera Loos (links) und Hilla Koch-Neumann in ihrer Ausstellung.

Vera Loos (links) und Hilla Koch-Neumann in ihrer Ausstellung.

Foto: Gerhard Alt

Wenn die Sonne nicht zu viel scheint, und der Wind nicht zu stark weht, der Tag nicht hell und nicht dunkel ist, dann verschwindet der Horizont überm Atlantik fast; und wenn dann ein Mensch an Ufer steht, wirkt der besonders klein und zugleich besonders bedeutsam. In den Bildern von Vera Loos ist das spannungsreiche Verhältnis von Nähe und Ferne, Verlorenheit und Aufgehobensein jetzt im Kulturtreff Altes Rathaus abzulesen.

Stelen und Porträtplastiken

Dazu gesellen sich (buchstäblich zu verstehen als wohl geordnete Gruppierungen) die Stelen und Porträtplastiken von Hilla Koch-Neumann. In ihnen bekommen Menschen, die einem sonst zufällig in Tibet oder Saarlouis begegnen, jeweils ihre eigene, ganze Welt für sich.

"Menschliche Verlorenheit" heißt die Ausstellung beziehungsreich. Da ist das Gretchen aus Goethes Faust: Einerseits verloren in einem tragischen Schicksal, hebt sie sich doch etwas von ihrer Würde auf, nicht ohne Trotz und Stolz, Heiterkeit fast. Humor, nicht selten Schalk, steckt in diesen Keramiken, zumal in den Stelen, die nicht nur Köpfe, sondern auch ornamentreiche bewegliche Unterbauten haben. Die neueren Arbeiten der Künstlerin muten wie antike Skulpturen an, ruhig, reif, überlegen. Cäsar ist dabei, das erwähnte Gretchen, Lillith und der alte Nepalese, dem sein Leben in Falten ins Gesicht gekerbt ist, der angesichts der vielen Einschnitte aber trotzdem herzlich und ansteckend lachen kann. Ja, da lässt sich mit lachen, mit nachdenken und mit erzählen.

Vera Loos malt Menschen in karger Umgebung, gibt ihnen jedoch Haltung und Rahmen, die vor dem Verlorengehen bewahren. Die Betrachter dieser Bilder und Keramiken können Erzähler von Lebensgeschichten sein. So werden besondere Momente, wie Lilliths vieldeutiger Blick in Koch-Neumanns Plastik oder die perspektivisch strenge Position des Gehenden in Loos' Bildern als Momente eingefangen, die eine Vergangenheit und eine Zukunft haben, deren Gegenwart aber jeweils labil und riskant ist. Das Aufheben und Erzählen bewahrt vor Verlorenheit, Sinnlosigkeit und Absurdität, indem es Momente des Lebens in einer Geschichte sinnstiftend miteinander verbindet.

Einladung zur Reflexion

Die Ausstellung ist auch eine Einladung zum Perspektivenwechsel und zur Reflexion. "Die Sahara ist in Wirklichkeit klein, wenn es drauf ankommt", ist der Titel eines Loos-Bildes. Und die vorgeben, Salesmen, Geschäftsleute zu sein, sind in Wirklichkeit "Salarymen", wie man in Japan sagt. Ansehnlich, keineswegs lächerlich, Kleider machen Leute! Loos führt es vor, indem sie in Fotos von Michael Wolff (die für sich schon sehr stimmig und dicht sind) den Leuten die Kleider wechselt und Farbe als Verfremdung und Intensivierung einsetzt. Es ist also viel zu erzählen über diese Bilder und Plastiken. In ihnen steckt mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist - ja, gerade dann, wenn auf den ersten Blick nicht viel zu sehen ist.

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Auf einen Blick Die Ausstellung ist geöffnet bis 20. November, dienstags bis samstags, 17 bis 22 Uhr. Am Freitag, 4, November, 19 Uhr, moderiert Gerhard Alt eine Gesprächsrunde mit den Künstlerinnen. gal

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