Fantastische Klangwelten

SAARWELLINGEN · Die Formation Tabeah überraschte am Freitag die Jazzfans im Kulturtreff Altes Rathaus.

 Selten im Alten Rathaus in Saarwellingen zu hören: Jazz mit Streichern wie beim Gastspiel von Tabeah. Beeindrucken war jedoch vor allem die Stimme von Tabea Mangelsdorf. Foto: Gerhard Alt

Selten im Alten Rathaus in Saarwellingen zu hören: Jazz mit Streichern wie beim Gastspiel von Tabeah. Beeindrucken war jedoch vor allem die Stimme von Tabea Mangelsdorf. Foto: Gerhard Alt

Foto: Gerhard Alt

Für viele Leser ist "Der Herr der Ringe" keine Fantasy-Literatur, sondern die fantasievolle Beschreibung einer besonderen Art von Realität. Mit der Musik der Gruppe Tabeah verhält es sich so ähnlich. Sie wirkt zunächst fantastisch, exotisch, vielleicht esoterisch, nur für Eingeweihte sozusagen. Doch mehr und mehr wird klar: Das ist Musik für die Sinne und die Fantasie. Wer zuhören will und sich einlassen kann, wird mit Eindrücken wie von einer abwechslungs- und überraschungsreichen Reise bereichert. Und so passte das letzte Konzert der Saarwellinger Jazzwochen vielleicht nicht zu den Vorstellungen der üblichen Jazzkonzertbesucher (es blieben einige Stühle im Alten Rathaus unbesetzt), sehr wohl aber zu einer Auffassung von Kunst im Allgemeinen und Jazz im Besonderen, wonach es mehr um fragende Eröffnung von neuen Zugangsweisen zur Welt als um die bloße Nachahmung derselben gehen könnte oder - im Falle der Musik - mehr um versuchsweise Annäherung an Wohlklang als um Nachfolge von Traditionen. Kurzum: Der Jazzfreund konnte sich darüber wundern und freuen, wie gut ihm das Konzert der jungen Leute gefiel, obwohl es vordergründig aus dem üblichen Saarwellinger Jazz-Rahmen fiel.

Ungewöhnlich schon die Besetzung. Zu Piano, Bass, Gitarre, Schlagzeug kommt ein Streichertrio mit Violine, Viola und Violoncello. Das wichtigste Instrument der Band ist jedoch die Stimme von Tabea Mangelsdorf. (Was keiner zu fragen wagte, aber nach dem Konzert doch rauskam: Sie hat nichts mit dem großen Albert Mangelsdorff zu tun, ja auch ein F weniger im Namen).

Diese Stimme erinnert mal an Joan Baez, mal an Marianne Faithfull oder an den großen Stimmumfang von Kate Bush und Mariah Carey. Klassisch ausgebildet, aber auch im Pop versiert, singt Mangelsdorf jedes ihrer Lieder, durchweg Eigenkompositionen, mit viel Emotion. Sie wirkt bei Ihrem Auftritt zugleich grazil und kräftig, und so singt sie auch. Und sie inszeniert in ihren Songs fantastische Welten mit Geistern im Mondschein, einem grübelnden Riesen, der zu fliegen anfängt, einem Engel im Gespräch mit einem Menschen, der die Welt verlässt. Kein Kitsch. Nicht bloße Attitüde. Mangelsdorf hat die Welt bereist, in Indien mit den so genannten Unberührbaren gearbeitet, eine Pilgerreise in die Westbank gemacht und mit Musikern in brasilianischen Favelas musiziert. Die Musik ist echt, avanciert, durchkomponiert und überzeugend arrangiert. In diesem Konzert fühlte man sich an irische Volkslieder erinnert, einmal sogar an Hillbilly, manchmal an Minimal Music oder Fusion-Jazz-Rock, eher selten an Popsongs, öfter an Trance oder psychedelischen Rock à la Pink Floyd. Dabei entstanden gewaltige Klangteppiche, deren Webmuster sich vor allem den kreativen Hervorbringungen des Gitarristen Christian Grothe und des Bassisten Claas-Henning Dorries verdanken. Die beiden fabrizierten Klangwelten buchstäblich mit Händen und Füßen, mixten viel Hall und Soundeffekte zusammen. Demgegenüber wirkte das Streichertrio traditionell kammermusikalisch - aber geradezu wuchtig. Und der Pianist David Ehlers war mehr als solider Begleiter am Flügel; seinem Synthesizer entlockte er Klänge wie von einer singenden Säge oder von einem Fender Rhodes. Inmitten dieser digitalen Soundexperimente sorgte der Schlagzeuger Simon Jurczewski für die Bodenhaftung mit seinem kernigen Spiel, das Erfahrung sowohl in Rockbands als auch im Jazz verriet. Das Konzert war wie ein Film, der viel zu erzählen hat. Man könnte von Programmmusik sprechen - oder Tanzmusik. Tanzen? Unbedingt! Hat aber niemand gemacht.

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Zur Person: Tabea Mangelsdorf Tabea Mangelsdorf kommt aus Osnabrück. Sie hat unter anderem dort, am Institut für Musik (IfM) der Hochschule Osnabrück, studiert.

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