„Realistischer Visionär“

Saarlouis · Bruno Proietti, 65, Werksleiter von Ludwig Schokolade in Saarlouis, wird heute in den Ruhestand verabschiedet. Ludwig Schokolade („Schogetten“), Teil der Krüger-Gruppe, gehört in einigen Segmenten zu den weltweit größten Süßwarenherstellern. Produziert wird unter eigenen Produktnamen ebenso wie für „Private Labels“, die auch Handelsmarken genannt werden: unter anderem mitten in Fraulautern. Darüber sprach SZ-Redakteur Johannes Werres mit Proietti.

Herr Proietti - egal in welches Land dieser Erde Sie reisen, Sie werden fast überall Produkte Ihres Hauses finden. Kann das nerven?

Proietti: Nein. Das ist etwas, das ich als sehr befriedigend empfinde. Darauf darf man ja auch stolz sein.

Haben Sie ein paar Kenngrößen von Ludwig Schokolade ?

Proietti: Wir machen im Jahr über 110 000 Tonnen Schokoladeprodukte in vier Werken. Etwa 90 000 Tonnen davon stellen wir an den beiden saarländischen Standorten Fraulautern und Saarwellingen her, die übrigen an zwei Standorten in Polen. Die Produktion verteilt sich auf etwa 850 unterschiedliche Produkte. Ein Teil läuft unter unseren eigenen Namen wie Trumpf oder Mauxion, einen anderen Teil stellen wir als Handelsmarke her.

Wo liegt der Umsatz ?

Proietti: Damit liegen wir bei einem Umsatz von etwa 420 Millionen Euro. Etwa 85 Prozent davon erzielen wir hier im Saarland.

850 verschiedene Produkte - das kommt mir sehr viel vor.

Proietti: Richtig, ja. Das ist ein Leistungsbeweis und ein Beweis dafür, dass wir ein so genannter Vollsortimenter sind. Wir versuchen, den gesamten Süßwarenmarkt mit unseren Produkten abzudecken.

In den USA könnte sich die Wirtschaftspolitik ändern, in England wird sie sich nach dem Brexit ändern. Wirkt sich das aus für Ludwig Schokolade ?

Proietti: Wir hoffen natürlich, dass das nicht so ist. Der englische Markt ist für uns im Exportbereich sehr wichtig. Durch den Brexit kann es natürlich zur Minderung der Menge kommen. Denkbar sind Einfuhrzölle oder eine dauerhafte Abwertung des Pfunds - dann werden unsere Süßwaren in England teurer. Ob der Konsument das am Ende bereit ist zu zahlen, ist die Frage. Für den hoch interessanten amerikanischen Markt ähnlich: Da wird die Frage sein, ob die Einfuhrzölle noch erhöht werden.

Ludwig Schokolade ist Großproduzent mitten im Ort. Setzt das nicht Grenzen?

Proietti: Die Infrastruktur ist mit der wachsenden Produktivität natürlich immer problematischer geworden. Wir konnten manches verbessern, aber die Belastung für die Menschen, die hier wohnen, ist da. Ludwig Schokolade , das ergibt sich daraus ja, wird seine Zukunft deswegen hauptsächlich an anderen Standorten - am besten hier im Saarland - haben. Fraulautern als Kernstandort bleibt natürlich bestehen, hier wird unter anderem die Schokolade hergestellt. In Saarwellingen wird sie dann weiterverarbeitet, dort haben wir in den letzten Jahren in drei Produktionshallen investiert, eine vierte wird folgen.

Herr Proietti - im Rückblick: Was sind die drei wichtigsten Eigenschaften eines guten Vorgesetzten?

Proietti: In erster Linie muss er ein realistischer Visionär sein. Er muss von Anfang an eine Vision haben, die er umsetzen kann, also kein Träumer sein. Als ich 1981 hier anfing, haben wir sehr viel Pralinen und Saisonartikel - und nur wenig Riegel produziert. Mitte der 90er Jahre haben wir ganz klar erkannt, dass sich das Pralinengeschäft mehr zu einem täglichen Konsum von Süßigkeiten verlagern würde. Zum ständigen Konsum gehören Pralinen nicht dazu. Eine reale Vision war, daraus Schlüsse zu ziehen und umzusetzen. Heute sind wir der zweitgrößte Riegelhersteller Europas und weltweit der größte Private-Label Hersteller von Schokoladenriegeln. Zum zweiten muss ein Vorgesetzter eine Balance halten zwischen den Begehrlichkeiten und Erwartungshaltungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der Mitarbeiter braucht Sicherheit. Er muss einem mit Respekt und ebenso mit Vertrauen entgegentreten. Man muss sich miteinander aufeinander verlassen können. Ich selbst habe mich immer als kooperativ-autoritär bezeichnet. Ich habe immer schon gesagt: Der Mensch steht im Mittelpunkt all unserer Taten und Überlegungen . Der Mensch als Kunde, aber auch - ebenso wichtig - der Mensch als Mitarbeiter.

Wie haben Sie selbst angefangen?

Proietti: Ich habe am 1. 4. 1966, da war ich noch keine 15 Jahre alt, in Dillingen eine Lehre begonnen als Werkzeugmacher. Das hat mich sehr begeistert. Es folgten Fortbildungen, und mit Mitte 20 merkte ich, dass ich Talent hatte, organisatorisch einzugreifen, Menschen organisatorisch zu leiten. In Mannheim habe ich dann den Techniker der Betriebswissenschaften gemacht und bin danach in eine Unternehmensberatung eingetreten. Eineinhalb Jahre danach, am 1. 10. 1981, habe ich hier angefangen, damals hieß die Fabrik noch Poser. Zunächst als Leiter der Produktionsplanung, wir haben nach und nach den Betrieb umstrukturiert. Später übernahm ich die betriebswirtschaftliche Abteilung, wurde kaufmännischer Leiter und schließlich ab 1993 Werksleiter. Einen richtig großen Schritt zur Sicherung der Arbeitsplätze im Saarland machten wir damals, indem wir die Produktion in Berlin auflösten und hierher verlagerten. Es folgte vor zehn Jahren zusätzlich noch die Ernennung zum Geschäftsführer der " Ludwig Logistik Service GmbH" - eine echte Herausforderung.

Wie kann sich eine solche große Produktion überhaupt in Deutschland halten?

Proietti: Gute Frage. Ich erinnere daran: Früher 1800 Mitarbeiter und 15 000 Tonnen, heute 90 000 Tonnen bei im Schnitt 1100 Mitarbeitern. Das geht nur, weil die Automatisierungsprozesse uns nach vorne bringen. Arbeit zu automatisieren heißt eben, Arbeitsplätze zu sichern. Wenn der Lohnkostenanteil immer geringer wird, dann lohnt sich keine Verlagerung in ein Billiglohnland. Deswegen bin ich stolz auf die Investitionen in diesem Haus. Es gibt bei uns für eine Investition aber immer zwei wichtige Entscheidungsparameter auf gleicher Augenhöhe: die Wirtschaftlichkeit und die Humanisierung des Arbeitsplatzes.

Sie selber sind Saarländer?

Proietti: Ganz und gar.

Mit italienischen Wurzeln?

Proietti: Ja. Die Wurzeln kommen aus Civitàvecchia in der Nähe von Rom. Meine Großeltern sind Ende des vorletzten Jahrhunderts hierher gekommen, mein Vater wurde schon hier geboren.

Sie haben viele persönliche Interessen. Haben Sie nie bedauert, alles dem Beruf untergeordnet zu haben?

Proietti: Das war so, ja. Aber gottseidank habe ich ja noch die Familie. Ich pflege immer noch mein Interesse an Musik. Und als Fußballtrainer habe ich noch ziemlich lange Jugendliche betreut. Ein wichtiger Part in meinem damals noch jungen Leben war Karambolage-Billard. Wir haben mit dem BC Dillingen relativ hoch gespielt. Das war damals, Ende der 60er, Mitte der 70er, übrigens der Sport einer ziemlich elitären Gruppe, für mich eine ganz neue Erfahrung. Ich habe zu Hause im Keller einen eigenen Tisch stehen. Jetzt habe ich wieder Zeit zu spielen - das werde ich auch tun. Man kann das ja bis ins hohe Alter spielen. Sport übrigens, das war für mich immer Mannschaftssport, das war mir wichtig. Und, jetzt wundern Sie sich nicht, jetzt, nach 50 Berufsjahren, kann ich sagen: Die Arbeit in einer Diskothek hat mich unglaublich geprägt. Ich war DJ und hatte als 19-, 20-Jähriger Verantwortung für ein Programm, für Menschen, die da gearbeitet haben, Mitarbeiterinnen im Service. Der Erfolg steht und fällt mit dem Disk-Jockey, wie er mit den Menschen umgeht. Spricht er sie an, welche Musik spielt er? Freie Rede, das war schon wichtig für mich. Den Menschen erkennen, auf ihn zugehen. Und Schach hatte eine sehr große Bedeutung für mich. Dafür wieder Zeit zu haben, darauf freue ich mich.

Ganz schön abwechslungsreich.

Proietti: Veränderungen sind das Wichtigste. Wenn sie positiv sind, versteht sich. Die Zeit ist immer wieder eine andere. Man muss sich der Zeit anpassen, nicht beugen, aber anpassen.

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