„Das ging sehr behutsam vor sich“

Saarlouis · Im Stadtarchiv Saarlouis liegen die Dokumente, die den Übergang von Saarlouis an Preußen vor exakt 200 Jahren präzise regelten. „Sehr pragmatisch“ sei das vor sich gegangen, berichtet Stadtarchivar Benedikt Loew im Interview mit SZ-Redakteur Johannes Werres.

Herr Loew, wo und wann ganz genau vollzog sich der Übergang von Saarlouis an Preußen?

Loew: In Saarlouis vollzog sich dieser Akt präzise am 1. Dezember 1815, 9 Uhr, als die restlichen verbliebenen französischen Truppen durch das Französische Tor, heute Höhe Kleiner Markt, Richtung Metz auszogen. Zur gleichen Zeit wurden die wichtigsten Gebäude wie das Pulvermagazin oder das Arsenal mit preußischen Schildwachen besetzt. Um 10 Uhr kamen von der preußischen Seite her die preußischen Soldaten durch das Deutsche Tor in die Stadt. Wie das genau geschah, darüber gibt es leider keine genauen Berichte. Am folgenden Tag wurden der bisherige Bürgermeister und der Stadtrat auf den neuen Landesherren, den preußischen König Friedrich Wilhelm III., vereidigt, und ein Besitzergreifungs-Patent veröffentlicht.

Das Patent gibt es noch? Kann man es sehen?

Loew: Ja. Es gibt eine handschriftliche Fassung im Protokoll des Stadtrates. Und wir haben im Stadtarchiv auch ein gedrucktes Exemplar. Außerdem gibt es eine zweisprachige Fassung der Regularien der Übergabe. Das steht zum Beispiel drin, was noch in den Magazinen verblieben war, oder wie die Pension der Offiziere geregelt werden sollte, die in Saarlouis blieben.

War denn Saarlouis militärisch überhaupt noch wichtig?

Loew: In preußischer Zeit war die Garnison kleiner als in französischer. Ich schätze, das waren am Ende 3500, 4000 preußische Soldaten . Die Stadt war aber 1815 eigentlich gar nicht verteidigungsfähig, weil in sehr schlechtem Zustand. Die Preußen haben rasch eine Bestandsaufnahme gemacht und angefangen, die Stadt und die Festung nach und nach zu modernisieren. Sie bauten die Verteidigungsanlagen weiter aus, vor allem nach Südwesten hin. Und es kamen Vorwerke dazu, Fort Rauch und die Rodener Schanze zum Beispiel. Das entsprach dem aktuellen preußischen Festungsdenken. In Thionville und in Koblenz ging das noch viel weiter.

Um 9 Uhr vormittags vollzog sich der Wachwechsel, heißt es. Bloß der Soldat Lacroix sei auf seinem Posten geblieben. Eine hübsche Geschichte. Weiß man, wie es zu ihr kam?

Loew: Ich weiß es nicht. Aber es ist wirklich einfach eine schöne Geschichte, unabhängig vom Wahrheitsgehalt.

Von Preußen erwartet man eine rigorose, schnelle Umstellung der Verwaltung. Wie war das in Saarlouis?

Loew: Die Preußen sind durchaus behutsam vorgegangen. Sie haben eigentlich alle Leute, die der deutschen Sprache mächtig waren, in Amt und Würden gelassen. Das waren die meisten. Im Rat gab es kaum Veränderungen, und der Bürgermeister, Michel Reneauld, blieb noch zehn Jahre im Amt.

Eine Namensänderung war nicht im Gespräch?

Loew: Meiner Ansicht nach gehören solche Vermutungen ins Reich der Fantasie. Irgendwas in der Form wie Saar-Wilhelm. Die Preußen haben nur die Schreibweise von Sarre-Louis ans Deutsche angepasst. Das war behutsam. Und 1821 wurden ja anlässlich des Besuches des Königs die Festungswerke neu benannt. Die Bastionen verloren alle ihren ursprünglichen Namen und wurden nach den sieben Kindern des Königs benannt. Aber die Contregarde Vauban und das Fort Choisy wurden von den Preußen so benannt - in Anerkennung der militärtechnischen Leistungen der Beiden. Das, finde ich, ist ein bemerkenswerter Schritt. Pragmatisch und respektvoll.

Wie war denn die Stimmung der Bevölkerung gegenüber den neuen Herren?

Loew: Den späteren deutsch-französischen Hass gab's damals noch nicht. Die Bevölkerung von Saarlouis war allerdings skeptisch. Einmal, weil es halt etwas Neues war. Dann: Preußen galt als restaurativ, und die Saarlouiser fragten sich, wie der neue Landesherr mit den Regelungen der Französischen Revolution weiter verfahren würde. Das betraf den Alltag der Bürger, Steuervorteile, Rechtsfragen. Sie sorgten sich auch um die wirtschaftlichen Verbindungen, die nun von einer neuen Grenze getrennt wurden. Es zeigte sich aber, dass die Grenze den Warenverkehr und die Handelsbeziehungen nicht beeinträchtigte. Eine große Angst vor Repressionen nach dem Wechsel zu Preußen gab es aber wohl nicht.

Tut sich Saarlouis eigentlich mit dem preußischen Erbe schwerer als mit dem französischen?

Loew: Das preußische Erbe ist in ein paar Punkten etwas schwieriger zu vermitteln. Vielleicht, weil Preußen zeitlich näher ist, und weil es teilweise negativ besetzt ist. Obwohl man die französische Zeit auch kritischer bewerten würde, wenn man das mit demselben Maßstab täte. Zu preußischer Zeit hat die Stadt einen Aufschwung genommen, obwohl sie in ihre Festungsmauern gezwängt blieb. Als Historiker versuche ich, die Würdigung der Zeit neutral zu halten. Was die Stadt insgesamt betrifft: Ich denke, man ist recht froh darum, dass man auch ein französisches Erbe hat. Auch, weil genau das Saarlouis von anderen Städten unterscheidet.

Wie begeht die Stadt das Jubiläum?

Loew: Dazu ist nichts geplant. Wir hätten im Museum und im Archiv für eine Ausstellung zu wenige geeignete Original-Exponate aus der Zeit.

 Das Standbild des legendären Soldaten Lacroix am Saaraltarm schuf 1973 Viktor Fontaine. Foto: Sascha Schmidt

Das Standbild des legendären Soldaten Lacroix am Saaraltarm schuf 1973 Viktor Fontaine. Foto: Sascha Schmidt

Foto: Sascha Schmidt

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StichwortDer Soldat Lacroix hat laut Legende so heftig mit Saarlouisern gezecht, dass er den Abzug seiner französischen Kameraden am 1. Dezember 1815 verpasste und morgens seinen Posten bezog. Mitleidig versorgten die Saarlouiser ihn für den verspäteten Abmarsch, die Preußen bewunderten sein Pflichtgefühl. we

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