Packungsbeilage Doktern an der Packungsbeilage

Saarbrücken · Viele Patienten sind durch Beipackzettel verunsichert. Saar-Uni-Professor Thorsten Lehr erforscht, wie es besser geht.

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Foto: SZ

Es klingt gruselig: „Doxycyclin 100 wird eingenommen bei (...) Brucellose, Ornithose, Bartonellose, Rickettsiose, Melioidose, Pest (...).“ Die Lektüre der Packungsbeilage des Antibiotikums, das etwa bei einer Bronchitis verschrieben wird, lässt Nicht-Mediziner oft ratlos zurück. „Patienten lesen die Packungsbeilage vielleicht durch und sind danach noch verunsicherter. Schlimmstenfalls setzen sie die Medikamente eigenmächtig ab“, sagt Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmarzie an der Saar-Uni. Das geht besser, ist der Wissenschaftler überzeugt. Statt Fleckfieber (Rickettsiose) oder Papageienkrankheit (Form der Ornithose) und weitere abseitige Diagnosen aufzulisten, reiche es „seltene Infektionen“ zu schreiben. Auch die Auflistung der Nebenwirkungen verunsichere Patienten. „Ich glaube, egal, was Sie nehmen, da steht immer irgendwo ,Tod’ als Nebenwirkung“, sagt Lehr.

Neben der oft schweren Verständlichkeit sei auch die Gestaltung der Zettels ein Ärgernis. Die Schrift häufig zu klein, das hauchdünne Papier werde sonst für Bibeln und Gesangbücher verwendet. Es gelinge höchstens mit einem Origamikurs, die Beilage wieder ordentlich in die Packung zu friemeln.

Ob Änderungen tatsächlich dazu führen, dass Patienten die Informationen besser verstehen, hat Lehr mit Studenten in zwei kleinen Studien untersucht. Sie unterzogen die Packungsbeilagen der 30 am häufigsten verschriebenen Medikamente zunächst dem „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Dabei stießen die Wissenschaftler auf ein differenziertes Bild „Es gab Medikamente, die einen Wert haben, der schwieriger ist als eine Doktorarbeit. Im Mittel lagen sie bei neun von 20. Das ist erschreckend weit von verständlich“, sagt Lehr. Die Forscher entwickelten nun vereinfachte Fassungen. „Also Passivkonstruktionen raus, die Fremdwörter erklären und kürzere Sätze“, sagt Lehr. Dabei habe man mit allen Herstellern klären müssen, ob die neue Version noch den juristischen Vorschriften entspricht. Über 100 Patienten wurden befragt, welche Fassung sie verständlicher finden. „Das Ergebnis ist nicht verwunderlich: Überall dort, wo sich der Index-Wert stark verändert hatte, haben Patienten die geänderte Version viel besser verstanden“, fasst der Professor zusammen.

Dennoch sei es eine Hürde, dass die Packungsbeilagen so lang seien – nur die wenigsten lesen sie vollständig. Für zwei Medikamente haben die Wissenschaftler daher Kurzversionen erstellt, die nach dem Vorbild der Schnellanleitungen für Fernseher oder Spülmaschinen auf einen Blick das Wichtigste zusammenfassen. Die Idee: Diese Kurzversionen könnten zusätzlich zur rechtlich vorgeschriebenen Langversion den Packungen beigelegt werden.

Über 150 Patienten haben Lehr und sein Team befragt und dabei ausgewertet, wie lange die Personen zum Lesen brauchten. Anschließend mussten sie Fragen zum Inhalt beantworten. „Die Bearbeitungszeit war bei den Teilnehmern mit der Kurzversion erwartungsgemäß kürzer, aber die Richtigkeit ihrer Antworten signifikant höher“, sagt Lehr.

Auch das Saarland hat dem Kleingedruckten den Kampf angesagt. Auf seine Initiative hat der Bundesrat im März 2016 die Bundesregierung aufgefordert, sich für besser lesbare Beipackzettel einzusetzen. Im Juni nahm die Gesundheitsministerkonferenz einen Antrag des Saarlandes an, der das Bundesgesundheitsministerium auffordert zu prüfen, ob Kurzversionen den Packungen beigefügt werden können.

Die EU diskutiert seit Jahren das Thema ebenfalls. Im März kritisierte die EU-Kommission in einem Bericht, die Beipackzettel als zu kompliziert. Doch sie kündigte keine konkreten Verbesserungen an, sondern will weiter prüfen. Auch die Idee der Kurzversion will sie weiter erkunden, bevor sie „erwogen werden kann“.

Vor diesem Hintergrund plant das Saar-Gesundheitsministerium mit Apothekerkammer, Krankenkassen, der Saar-Uni sowie der pharmazeutischen Industrie im Saarland im kommenden Jahr eine Pilotstudie. Derzeit werde geprüft, wie viel Geld benötigt wird und ob dafür Mittel aus einem europäischen Fonds abgeschöpft werden können, teilt das Ministerium mit. Sollte die Pilotstudie den Nutzen von Kurzfassungen belegen, könne dies als Argument für eine notwendige Änderung der EU-Richtlinie dienen. Anschließend müsse diese in nationales Recht umgesetzt werden.

Derweil sind Wissenschaftler wie Thorsten Lehr dabei, das Studiendesign zu entwickeln. Die Idee sei, die Packungsbeilagen der 30 am häufigsten verschriebenen Medikamente zu untersuchen und hierfür 10 000 bis 15 000 Personen zu befragen. „Die entscheidende Frage wird sein, ob die bessere Lesbarkeit auch einen langfristigen Effekt auf die Therapietreue der Patienten hat und so Nebenwirkungen durch eine falsche Einnahme der Arzneien abnehmen“, erklärt Lehr. Auf diesen Mehrwert komme es an, um die Pharmaindustrie zu überzeugen. Diese wolle stets das Packungsgewicht so gering wie möglich halten – ein zusätzliches Papier müsse daher mehr bieten als nur eine bessere Lesbarkeit.

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